Wie die EU den Kampf gegen Terrorismus organisiert

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Von Euronews
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Der Beginn des 21. Jahrhunderts wird wohl als die Zeit der islamistischen Attentate in die Geschichte eingehen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in Europa zehn Jahre zuvor war der bi-polare Konflikt auf der Erde immer mehr von einem multi-polaren abgelöst worden. Nach dem ersten Anschlag am 11. September 2001 einigten sich die EU-Staaten im Juni 2002 auf eine gemeinsame Definition der neuen Bedrohung und auf Methoden zu deren Bekämpfung. Dabei wurde u.a. der “ europäische Haftbefehl” geschaffen. Der erlaubte dann nach den Anschlägen in London im Juli 2005 eine schnelle Auslieferung eines in Italien gefasste Verdächtigen. Zuvor hatten nach den Anschlägen von Madrid am 11. März 2004 die Staats- und Regierungschefs eine gemeinsame Strategie zum Kampf gegen den Terrorismus beschlossen und dabei das Amt des
Koordinators für diesen Kampf geschaffen. Erster Anti-Terror-Koodinator wurde der Niederländer Gijs de Vries. Er hatte zunächst einmal entsprechende Strukturen zu schaffen und die Bemühungen der nationalen Behörden zur Verhinderung von Anschlägen zusammen zu führen. In diese Zeit fällt die Einführung der Reisepässe mit biometrischen Daten. Daran wird seither ständig weiter gearbeitet. In Deutschland wird beim Beantragen eines Personalausweises inzwischen dem Bürger angeboten, auch einen Fingerabdruck im Ausweischip speichern zu lassen. Zu den EU-weiten Maßnahmen gehörten einheitliche Regeln, um Schußwaffen und Explosivstoffe besser kontrollieren zu können. Gleichzeitung wurden der EU-Polizeibehörde “Europol” mehr Möglichkeiten des Eingreifens eingeräumt. In den Jahren nach den ersten Anschlägen entwickelte sich die Cyber-Kriminalität zu einer ernst zu nehmenden weltweiten Bedrohung. Hier allerdings gilt wie so oft in der EU: Die ersten Beschlüsse waren schnell gefasst – aber bei der Umsetzung, der Bereitstellung der notwendigen Mittel, hapert es. Auch bei der Zusammenarbeit der Staatsschutzorgane im Inneren wie der für die Spionage außerhalb des eigenen Landes zuständigen Geheimdienste gibt es die schon gewohnten Schwierigkeiten. Die Absichtserklärung, eine Art “FBI der EU” zu schaffen ist bisher eine Absichtserklärung geblieben. Problematisch wurde es dann, als die Amtszeit des ersten “Anti-Terror-Koordinators” ablief. Die EU-Kommission brauchte sechs Monate, um mit dem Belgier Gilles de Kerchove einen Nachfolger zu finden.

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Der Anti-Terror-Koordinatior der EU, Gilles de Kerchove, steht uns heute Rede und Antwort. Wo setzen Sie heute, zehn Jahre nach den Anschlägen von Madrid und nach der Schaffung ihres Amtes die Prioritäten Ihrer Arbeit?

Gilles de Kerchove
Die erste Priorität, die gilt heute jenen jungen Europäern, jungen Nord-Afrikaner und jungen Leuten von anderswo, die nach Syrien streben, um sich dortigen Kämpfern anzuschließen und die zumeist in den Terroristengruppen landen.

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Wie gehen Sie dabei vor?

Gilles de Kerchove :
Zuerst bedeutet unsere Arbeit: vorbeugen.
Wir müssen herausfinden, wie wir die jungen Leute am besten davon abhalten können. Das hat allererste Priorität. Und wir müssen mehr über die erfahren, die schon dort sind. Denn viele dieser Europäer sind vorher weder den heimatlichen Geheimdiensten noch der Polizei aufgefallen.
Man muss auch spezielle Arbeitsmethoden entwickeln. Das heisst, in Transitländer wie die Türkei reisen. Man muss auch mit den Herkunftsländern der anderen Kämpfer zusammenarbeiten. Da denke ich zum Beispiel an Tunesien, woher recht viele kommen, oder auch an Ägypten und Marokko.

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Heute vor 10 Jahren explodierten die Bomben in Madrid. Befürchten Sie gegenwärtig in Europa einen Anschlag von diesem Ausmaß?

Gilles de Kerchove :
Unsere Geheimdienste sprechen von einer ernsten Bedrohung, die zum großen Teil mit diesen europäischen Kombattanten in Syrien zu tun hat.
Ich nenne die Bedrohung diffuser, von mehreren Seiten kommend. Am Morgen nach dem 11. September waren wir mit einer Organisation konfrontiert, die wie ein multi-nationales Unternehmen strukturiert war: Al Kaida. Es wäre ein zu simpler Ansatz, einfach nur die Personen indentifizieren zu wollen, die Al Kaida folgen. Heute hat sich auch das weiter entwickelt, wir haben eine Art “Franchise-System”. Ein oder zwei solcher Gruppen agieren in Syrien oder im Irak. Dann gibt es immer noch das Herz von Al Kaida in Afghanistan. Es gibt “Al Kaida auf der arabischen Halbinsel”, in der Sahelzone, in Nordafrika – also eine mehr komplexe Aufteilung. Gleichzeitig wird die Bedrohung auch immer komplexer. Also muss auch unsere Antwort darauf subtiler und effektiver ausfallen. Ich lenke Ihre Aufmerksamkeit auf den Fakt, dass es seit den Bomben in Madrid und London in Europa keinen Anschläge von diesem Ausmaß mehr gab. Auch wenn die isolierten Taten nicht weniger dramatische Folgen hatten, sie hatten nicht dieses Ausmaß. Wir sind heute besser vorbereitet und unser Handeln ist effektiver geworden. Aber die ernsthafte Bedrohung bleibt.

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Haben Sie bei der Zusammenarbeit Fortschritte gemacht?

Gilles de Kerchove :
Ein großer Teil unserer Arbeit besteht in der Kooperation mit Dritt-Ländern, mit Ländern, die direkt vom Terrorismus bedroht sind. Wir wollen erreichen, dass es dort eine adäquate juristische Sicht gibt, die nicht der Verfolgung von Oppositionellen unter dem Vorwand des Terrorismus dient, wie es heute leider oft noch der Fall ist. Es geht um verbesserten Informationsaustausch. Das ist eine der großen Lehren des 11. September. Die Art, wie Geheimdienste, Polizei, Justiz Informationen austauschen, muss verbessert werden.

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Die Staaten sammeln inzwischen unter dem Stichwort “Terror-Bekämpfung” jede Menge Informationen. Die Regierungen scheinen da immer weniger Skrupel zu haben, das Privatleben ihrer Bürger auszuforschen. Nicht nur in den USA, auch in Europa. Wie bewerten Sie das?

Gilles de Kerchove :
Wir gehen sehr achtsam vor, um die Ausgewogenheit zu wahren zwischen notwendig zu sammelnden Informationen – keiner wird leugnen, dass man Attentate verhindern muss- und dem Schutz des Privatlebens. Wir arbeiten an mehreren Projekten, an solchen für die Gesetzgebung, um die europäischen Schutzmöglichkeiten zu verstärken.
Und wir arbeiten auf internationales Ebene. Wobei nach den Snoden-Enthüllungen die Debatten mit den USA schwierig geworden sind. Wir sprechen mit Dritt-Ländern, der Schutz durch Kooperation spielt in der Zusammenarbeit eine wichtige Rolle.

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