Innovative Finanzierungsmöglichkeiten gegen AIDS

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Philippe Douste-Blazy hat als Präsident von UNITAID drei tödlichen Krankheiten den Kampf angesagt: AIDS, Tuberkulose und Malaria.

Philippe Douste-Blazy, Präsident von UNITAID

*Philippe Douste-Blazy ist ein Vorreiter innovativer Finanzierungsmöglichkeiten als Antwort auf fallende Entwicklungshilfegelder. Der Franzose spielte eine Hauptrolle bei der Idee, eine Abgabe von Flugtickets abzuzweigen. Dabei fließt ein Euro pro Passagier an UNITAID. Mit diesem Geld wird die Arbeit der Organisation unterstützt.

*UNITAID wurde 2006 von den Regierungen Brasiliens, Chiles, Frankreichs, Norwegens und Großbritanniens ins Leben gerufen, um die medizinische Versorgung in Entwicklungsländern zu verbessern. Es werden Geldmittel aufgetrieben, um unter anderem Medikamente für AIDS-, Tuberkulose- und Malaria-Kranke zu finanzieren.

*Vor seiner Arbeit bei UNITAID war Douste-Blazy praktizierender Kardiologe und ging dann in die Politik. Zwischen 1993 und 2007 bekleidete er unterschiedliche Ämter, er wirkte unter anderem als Bürgermeister von Toulouse, Familienminister sowie Außenminister.

Der ehemalige Außenminister Frankreichs sammelt auf innovative Weise Geld ein, das vor allem in Entwicklungsländern für Medikamente und Behandlungen Erkrankter eingesetzt wird. So hat Douste-Blazy etwa die Idee mitentwickelt, eine Abgabe von Flugtickets in Höhe von einem Euro einzuführen.

Auch ein Teil der Finanztransaktionssteuer soll nach seinem Willen für den Kampf gegen die Krankheiten eingesetzt werden. Nur zwei Ideen des Politikers, der einst als Kardiologe praktizierte. Bei Global Conversation spricht Douste-Blazy auch über Frankreich und wie man die Wirtschaft des Landes ankurbeln könnte.

euronews:
Es bleiben nur noch einige Monate, um die Aufgabe des Jahrtausends zu erfüllen. Für den Präsidenten von UNITAID ist es ein Wettlauf mit der Zeit. Diese Entwicklungshilfeorganisation ist ein Vorreiter in Sachen innovativer Finanzierungsmöglichkeiten, vor allem im Kampf gegen Malaria, Tuberkulose und AIDS. Philippe Douste-Blazy, ehemaliger französischer Außenminister und Präsident von UNITAID, arbeit ohne Unterlass daran, er ist mein Gast bei Global Conversation.

Philippe Douste-Blazy:
Danke für die Einladung.

euronews:
Ich habe AIDS angesprochen. Diese Krankheit auszumerzen, ist eines der Ziele des Jahrtausends. Das ist merkwürdig, denn man spricht kaum noch darüber. Warum?

Philippe Douste-Blazy:
AIDS ist eine Krankheit der Armut. Wir wollen die extreme Armut, die weltweit zunimmt, ausrotten. Außerdem: Wie kann man den Ärmsten der Armen helfen, mit welchem Geld, wenn die meisten Länder, die als reich gelten, mehr oder weniger in den Schulden stecken? Wie soll man einen griechischen, italienischen, spanischen, französischen, amerikanischen Abgeordneten um mehr Geld bitten? Also haben wir eine kleine Idee entwickelt, eine innovative Finanzierungsmöglichkeit. Es geht darum, ganz kleine Beiträge einzusammeln, die keinem weh tun. Ein Euro pro Flug zum Beispiel. Und das Geld stecken wir dann in eine Organisation, die UNITAID heißt.

euronews:
Auch wenn es keinem weh tut, gibt es dennoch einige Länder, die zurückhaltend sind. Warum?

Philippe Douste-Blazy:
Tja, ich verstehe es nicht. Es gibt 194 Länder. 14 haben dieses kleine System umgesetzt: Ein Euro pro Flugticket. Dadurch haben wir zwei Milliarden Dollar einsammeln können. Acht von zehn Kindern, die weltweit unter AIDS leiden, kann dank dieser kleinen Idee geholfen werden.

euronews:
Wir werden auf die Frage der innovativen Finanzierung zurückkommen, aber ich würde gerne auf das Thema AIDS blicken. Denn vor etwas mehr als einem Jahr hat der ehemalige Präsident Jacques Chirac, der auch zu den UNITAID-Gründern gehört, gesagt, dass man sich dank UNITAID vorstellen kann, dass AIDS ausgerottet wird. Meinen Sie wirklich, dass das möglich ist? Und wenn ja, wann?

Philippe Douste-Blazy:
Es ist möglich, aber dafür braucht man Geld. Jedes Mal, wenn man den Ärmsten der Armen hilft, gibt es viele Leute, die sagen, das sei so, als wenn man die Wüste bewässern würde. Aber das stimmt nicht. Blicken Sie auf die Masern. Mit dem Impfstoff gegen Masern hat man die Sterblichkeit um 98 Prozent verringert, ähnlich könnte man es mit AIDS machen.

Ein Beispiel: Es gibt weltweit drei Millionen Kinder, die AIDS haben. Nur 700.000 werden behandelt, weil man die Kinder aufgibt, denn sie gehören zu den Ärmsten der Armen. Diese Kinder haben alles, um unglücklich zu sein. Sie werden mit AIDS geboren, das Risiko, dass sie vor dem zweiten Lebensjahr sterben, liegt bei 50 Prozent. Sie wachsen oft als Waisen auf und später werden sie diskriminiert, weil gewissermaßen auf ihrer Stirn steht, dass sie AIDS haben. Deshalb werden sie in ihren Dörfern fallen gelassen. Diesen Kindern wollen wir helfen. Dank UNITAID und zusammen mit der Stiftung von Präsident Clinton haben wir 700.000 Kinder behandeln können, aber es bleiben noch 2,3 Millionen Kinder, die behandelt werden müssen. Das ist inakzeptabel, es ist die Schande der Menschheit, dass man nicht das Geld dafür findet.

euronews:
Warum diese drei Krankheiten? Das ist eine Frage, die einer unserer Internetnutzer gestellt hat. Und wir haben eine Frage von Abbas Amizou erhalten, der wissen will, was die Vereinten Nationen im Kampf gegen Ebola tun, denn es handelt sich dabei auch um eine tödliche Krankheit?

Philippe Douste-Blazy:
UNITAID ist wie ein Labor, das beweisen möchte, dass man mit kleinen Finanzierungen, die keinem weh tun und sich durch Millionen vervielfachen, Dinge ändern kann. Man muss eine Auswahl treffen. Zu Anfang haben wir das Ziel gesteckt: AIDS, Tuberkulose, Malaria. Man hätte auch andere auswählen können. Wir haben schon bewiesen, dass man die Welt ändern kann, wenn man klitzekleine Solidaritätsbeiträge wie diese auftreibt.

euronews:
Aber es ist viel Arbeit, die politischen Entscheidungsträger zu überzeugen. Warum wollen die das nicht?

Philippe Douste-Blazy:
Die Staatschefs, die Politiker, zu denen ich lange auch gehörte und deshalb niemanden belehren werde, haben zu sehr lokale Interessen im Blick. Man kümmert sich um seine Wahl. Wenn man Bürgermeister einer Stadt ist, kümmert man sich nicht um eine andere Stadt. Wir beachten nicht, dass man sich heutzutage mit der Globalisierung auseinandersetzen muss, wenn man will, dass unsere Kinder und Enkel im 21. Jahrhundert in Frieden leben. Denn es handelt sich um einen Krieg um den Frieden. Wir müssen uns um die grundlegenden Rechte des Lebens kümmern, um die Menschenwürde – und zwar in den ärmsten Gegenden der Erde. Die einzige Möglichkeit sind Mikrofinanzierungen wie diese.

euronews:
Sie haben über die Finanztransaktionssteuer in Europa gesprochen, die verwässert wird. Haben Sie Sorge, dass Sie nicht die Mittel einsammeln können, die sie sich erhofft haben?

Philippe Douste-Blazy:
Vor zehn Jahren haben wir einen Kampf für eine Finanztransaktionssteuer geführt. Alle haben uns gesagt, dass das nicht funktionieren wird. Und seit drei Jahren sehen wir, dass immer mehr Länder finden, dass diese Steuer eine gute Sache ist.

Ich habe verstanden, warum das so ist. Wir dachten, das Geld käme den Armen zugute. Aber nein, jetzt sagen uns die Länder: Die Steuer ist für uns, für unseren Haushalt, um Geld für uns aufzutreiben. Ich habe den Staatschefs gesagt: In Ordnung, wir machen eine schwere Zeit durch, eine Krise, behalten Sie das Geld, aber geben Sie den ärmsten Ländern davon mindestens 20, 25 Prozent. Darum kämpfen wir. Frau Merkel, der österreichische Bundeskanzler, aber auch die Ministerpräsidenten Spaniens, Italiens, Griechenlands und Frankreichs haben eine Finanztransaktionssteuer schon umgesetzt.

euronews:
Und Sie bekommen davon dann wieviel Prozent?

Philippe Douste-Blazy:
In Frankreich 15 Prozent – so etwas gab es noch nie. Der französische Präsident hat zugestimmt, den armen Ländern 15 Prozent zu geben.

euronews:
Welcher Summer entspricht das?

Philippe Douste-Blazy:
Bisher ist es wenig, 160 Millionen Dollar. Aber die Welt wird sich nicht stabilisieren, wenn man den Menschen die Möglichkeit verwehrt, einen Dollar pro Tag zu verdienen. Sehen Sie doch mal, wo sich Al-Kaida niederlässt. Natürlich nur dort, wo es extreme Armut und Elend gibt. Ich weiß nicht, was wäre, wenn ich 17, 18 Jahre alt wäre und sehen würde, wie mein Bruder, meine Mutter, mein Vater und meine kleine Schwester sterben, weil ein halber Dollar fehlt. Ein halber Dollar, um Malaria zu heilen, denn es braucht nur einen halben Dollar, um ein Kinder zu behandeln und es damit zu retten.

Wenn ich im Internet lese würde, dass ich in Paris 40 Euro für ein Frühstück ausgeben kann und dass mein kleiner Bruder wegen eines halben Dollars stirbt und wenn mich dann jemand beeinflussen will, glaube ich, dass mich derjenige auch beeinflussen könnte und mich gegen den Westen aufhetzen könnte.

euronews:
Wir haben diese Frage von einer Gruppe namens @Robin Hood bekommen, und ich komme noch mal auf die Finanztransaktionssteuer zu sprechen. Wie kann man sicherstellen, dass das Geld an der richtigen Stelle ankommt?

Philippe Douste-Blazy:
Ja, genau das ist unsere Aufgabe, das erkläre ich den verschiedenen Staatschefs. Man muss die Finanztransaktionssteuer also aufteilen. 15, 20, 25 Prozent, so hoffe ich, werden in die ärmsten Länder fließen. Dafür muss man kämpfen und anschließend schlage ich eine Halbierung vor: Die eine Hälfte zugunsten der Weltgesundheit, um die sich multilaterale Organisationen wie UNITAID oder der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria kümmern. Die andere Hälfte für die Umwelt.

euronews:
Sie sind auch für eine Erdölabgabe. Eine solche Steuer würde direkt in den Ländern erhoben werden, auch in Afrika. Wie weit sind Sie in dieser Sache?

Philippe Douste-Blazy:
Diese Diskussion führe ich mit einigen Staatschefs.

euronews:
Können Sie uns sagen, mit welchen?

Philippe Douste-Blazy:
Dafür ist es noch zu früh, aber ich werde darauf zurückkommen. Zunächst einmal besteht diese Idee tatsächlich, dass man sagt: Es gibt einige afrikanische Länder, die das Glück haben, über Bodenschätze zu verfügen: Öl, Bergwerke, Gas. Und es gibt welche, die nichts haben. Also finde ich, dass es gut wäre, dass wenn man in einem Land Öl findet, die Unternehmen und den Staat beteiligt. Der Staat würde pro Barrel Öl 5, 10 oder 15 Cent bekommen und das Geld im Kampf gegen eine schlimme Epidemie einsetzen, die 30 Prozent der afrikanischen Kinder betrifft: Die chronische Mangelernährung nämlich.

euronews:
Sie haben über Globalisierung und Solidarität gesprochen. Ist es nicht traurig, dass Ihnen die Leute da nicht folgen?

Philippe Douste-Blazy:
Ja, aber schlimmer ist noch, dass es nicht nur um Politiker, sondern auch die Medien geht. Wenn in Frankreich ein Reisebus verunglückt, ist das furchtbar und schrecklich. Beispielsweise 30 Kinder wurden verletzt oder getötet. So etwas wäre das große Thema in den Nachrichten. Und das obwohl alle drei Sekunden ein Kind stirbt. Genau, alle drei Sekunden wegen einer Krankheit, die vermeidbar und heilbar ist. Für nichts, und man könnte es verhindern. Darüber steht nicht eine Zeile in der Zeitung. Man lebt so, als würde es das nicht geben.

euronews:
Bill Gates ist jemand, der die Welt verändert hat: Einer der reichsten und einflussreichsten Männer der Welt, der ihre Organisation unterstützt, sie begleitet. Was ist das Wichtigste, das sie von ihm gelernt haben?

Philippe Douste-Blazy:
Ich habe ihn einmal nach Paris eingeladen und er hat etwas Unglaubliches gesagt: Er sagte, dass er 50 Jahre gebraucht hat, um zu verstehen, dass sein Leben tatsächlich ein sehr interessantes Leben ist. Er sagte: Ich habe Microsoft gegründet und so weiter. Aber ich habe meinem Leben keinen Sinn gegeben, das habe ich erst damit getan. Ich glaube, dass jeder, egal ob er Arbeit hat oder nicht, ob Journalist, Arzt oder Politiker, jeder muss seinem Leben eines Tages einen Sinn geben.

euronews:
Sie haben die Politik angesprochen und ich würde Sie darum bitten, in die Rolle des ehemaligen französischen Politikers zu schlüpfen, denn Sie beschäftigen sich sehr mit Innovationen, während man den Eindruck hat, dass diese in Frankreich fehlen. Es gibt die Notwendigkeit, Dinge zu ändern. Was müsste man auf wirtschaftlicher Ebene ändern, damit Frankreich wieder nach vorne kommt?

Philippe Douste-Blazy:
Unser Problem ist, dass nicht genügend Reformen durchgeführt wurden. Man hat Angst davor, weil die Gewerkschaften sehr stark sind, weil die Franzosen sich oft beschweren. Noch etwas und da muss ich mich an erster Stelle nennen: Als ich in der Regierung war, hätte ich mutiger sein müssen und mutigere Reformen durchführen müssen. Das fehlt uns, aber ich glaube, dass sich die Leute mittlerweile bewegen, um etwas zu ändern. Sie sehen, dass Länder wie Spanien, Griechenland und Italien dabei sind, sich wieder aufzurichten, nachdem sie schwer getroffen waren.

euronews:
Sie haben in ihrem Leben viele Etappen hinter sich gebracht: Kardiologe, Minister, Aktivist. Mich interessiert, wie es ist, von einer Etappe zur nächsten überzugehen: Vom Minister zum Aktivisten zum Beispiel.

Philippe Douste-Blazy:
Was ist der Unterschied zwischen einem Kämpfer, einem Aktivisten und einem Politiker? Alle drei glauben wirklich, dass man die Welt verändern kann. In der Politik machen Sie Kompromisse, denn man kann die Dinge nicht einfach so ändern. Es gibt Fraktionen im Parlament, es gibt Wahlen. Manchmal verlieren Sie, manchmal ändern Sie ihre Sprache, um gewählt zu werden. Also glaubt man, dass sie falsch spielen, aber das nennt man einen Kompromiss. Keinen faulen Kompromiss, das ist etwas Anderes.

Dort, wo ich jetzt bin, kann ich diese Zwänge ablegen. Ich kann sagen: Hier setze ich mich für innovative Finanzierungsmöglichkeiten ein, ich gehe zu UNITAID, wir müssen Kriege und Konflikte vermeiden. Geben Sie ein wenig ab, damit die Ärmsten leben können.

euronews:
Sie setzen sich leidenschaftlich ein, sie haben viele Etappen hinter sich, welches ist die nächste Etappe für Philippe Douste-Blazy?

Philippe Douste-Blazy:
Die nächste Etappe ist, die Staatschefs zu überzeugen, dass wir wirklich diesen klitzekleinen Solidaritätsbeitrag umsetzen sollten. Bei Flugtickets, wie gesagt. Und man könnte das auch bei Telefonverträgen machen. Oder warum nicht in der Privatwirtschaft? Ich bin überzeugt, dass Apple, Google, Facebook und Twitter als weltweit vernetzte Unternehmen Mini-Solidaritätsbeiträge einführen könnten.

Es liegt an den Menschen, den furchtbaren Spekulationskapitalismus zu beenden und einen sozialen Kapitalismus zurückzubringen. Ein Kind, das in Bamako in Mali geboren wird, ist genauso viel wert wie ein Kind, das in Paris geboren wird. Aber die internationale Gemeinschaft ist anderer Meinung. Sie glaubt, ein in Bamako geborenes Kind sei nichts. Aber ein Kind, das in London, in Oslo oder Paris geboren wird, sei dagegen wichtig. Das stimmt nicht. Es ist das gleiche.

euronews:
Die Herausforderung ist ausgesprochen. Vielen Dank Philippe Douste-Blazy für Ihren Besuch.

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