Filippo Grandi: "Europa verdient eine ernsthafte Migrationsdebatte"

Filippo Grandi: "Europa verdient eine ernsthafte Migrationsdebatte"
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Von Andrew Neil
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Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen sprach in "euronews uncut" mit Andrew Neil über die Migrationskrise in Europa.

Der Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge, Filippo Grandi, hat davor gewarnt, dass es für viele Flüchtlinge nach wie vor nicht unproblematisch bzw. gefährlich ist, in ihre Heimatländer zurückzukehren - jede Rückkehr müsse freiwillig sein. In einem Interview mit "euronews uncut" im schweizerischen Davos sprach er mit euronews-Gastreporter Andrew Neil über die Migrationskrise in Europa und wie man die Migrantenströme am besten steuern kann.

Euronews-Gastreporter Andrew Neil:"Filippo Grandi, herzlich Willkommen. Unser Gespräch dauert 20 Minuten, und die Zuschauer bekommen es genau so zu sehen: nichts wird geschnitten, nichts wird bearbeitet."

Filippo Grandi, Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen:"Sehr schön."

Euronews:"Lassen Sie mich mit dieser Frage beginnen: Gibt es noch eine Migrationskrise in Europa?"

Filippo Grandi:"Hat es jemals eine gegeben? Sie wissen, man muss vorsichtig sein, wenn man über solche Themen spricht. Aber die Zahlen sprechen eine klare Sprache, laut unserer Zahlen sind 85 bis 90 Prozent der 70 Millonen weltweit vertriebenen Menschen nicht in Europa, nicht in Amerika, nicht in Australien, sondern in Ländern mit geringem oder mittleren Einkommen - da ist die Krise. Jetzt haben wir in einer bestimmten Situation erlebt, das eine große Zahl Menschen nach Europa gekommen ist. Das war eine kritische Situation, die nicht gut gemeistert wurde. Das hat die Krise verschärft, dann wurde sie politisiert, und das hat sie unwiderruflich verschärft."

Europa hat Angela Merkel im Stich gelassen

Euronews:"Die Politiker dachten sicher, es ist einfach eine Krise, und genau so haben sie sie auch behandelt. Und für manche wurde es dann zu ihrer Krise, zum Beispiel Angela Merkel und Deutschland."

Filippo Grandi:"Das Problem ist - und Angela Merkel kann man sicher nichts vorwerfen, denn meiner Meinung nach hat sie das Richtige getan. Sie hat gezeigt, dass Solidarität in Europa immer noch ein Wert ist. Aber das Problem war, als sie diese berühmte Aussage machte, dass Syrer in Deutschland willkommen seien, dass die Syrer damals vor einem schrecklichen Krieg fliehen mussten, das sollten wir nicht vergessen. Aber als sie diese Aussage traf, folgte ihr der Rest Europas nicht, sie teilten diese Haltung nicht. Sie haben sie allein gelassen, und Deutschland die Verantwortung überlassen. Das war das Problem."

Euronews:"Die Botschaft, die bei den Politikern ankam, war, dass Angela Merkel in die Knie gegangen ist. Sie nahm eine Million Flüchtlinge oder Migranten oder was auch immer sie waren, auf. Sie war die mächtigste Staatenlenkerin in Europa, und damit hat sie ihre politische Karriere zerstört. Auch das war eine Botschaft, und der Rest Europas sagte, so machen wir das nicht."

Filippo Grandi:"Genau. Wo ich aber nicht zustimmen würde, ist, ihr ein Versagen zuzuschreiben, wenn das Versagen doch auf der Unfähigkeit Europas beruht, mit der Flüchtlingsfrage umzugehen. Außerdem : Europa muss sich mit diesen Fragen befassen. Erstens, weil Europa die Pflicht hat, Menschen aufzunehmen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Das ist meiner Meinung nach keine Entscheidung, sondern ein europäischer Wert. Es ist eine europäische Pflicht, auch nach dem Völkerrecht. Aber Europa muss sich besser organisieren, und hier kommen wir wieder zur Politik. Denn inzwischen wird doch jedes kleine Boot, das mit 20 Leuten im Mittelmeer unterwegs ist, zu einem europäischen Drama."

Euronews:"Oder im Ärmelkanal."

Filippo Grandi:"Oder im Ärmelkanal."

Euronews:"Oder für die Royal Navy und die Royal Air Force."

Filippo Grandi:"Sie haben sicher auch festgestellt, dass es heute in Europa darum geht, wer am wenigsten tut für diese Menschen, für den Umgang mit ihnen, als dass wir einen Wettlauf um Großzügigkeit sehen würden, im Gegenteil. Das ist absurd. Es ist eher ein Wettlauf, so wenig wie möglich zu tun und die Verantwortung anderen zu überlassen, weil man politisch zuviel riskiert. Und das ist ein Teufelskreis, diese Diskussion."

Euronews: _"Betrachten wir die Dimension des Problems, und was an möglichen Lösungen und politischen Reaktionen geschieht. Verglichen mit 2015 sind die Zahlen deutlich niedriger als damals, als Angela Merkel sich entscheiden musste. Die Flüchtlingsströme verlagerten sich entlang des Mittelmeers, die Zahlen sind um 85 Prozent gesunken, auch für Italien. Sie sind niedrig, trotzdem kamen im vergangenen Jahr immer noch einhundertsiebzehntausend Migranten auf dem Seeweg nach Europa, überwiegend nach Italien, Spanien und Griechenland. 2000 starben dabei. Ein großes, ungelöstes Problem."
_

Filippo Grandi:"Natürlich ist es ein großes Problem, und ich möchte nicht missverstanden werden, wenn ich sage, es ist keine Krise, verglichen mit dem, womit der Libanon oder Bangladesch konfrontiert sind, mit viel weniger Ressourcen als Europa und größeren Zahlen, sehr viel größeren Zahlen. Es ist insofern eine Krise im Mittelmeerraum, da es meiner Meinung nach eine europäische Krise ist, da es die Pflicht ist, diese Menschen zu retten. Noch einmal, man weiß, dass man Rettung, Aufnahme und Verteilung organisieren muss. Das Asylsystem muss so reformiert werden, dass nicht nur die äußeren Staaten allein alle Problemen lösen müssen, so wie jetzt Griechenland, Italien und zuletzt Spanien. Um das zu erreichen, braucht es Zusammenhalt, Zusammenarbeit und die Entpolitisierung des gesamten Phänomens."

Ad-hoc-Lösungen statt Strategien

Euronews:"Nun, wie wir sehen, geschieht genau das nicht. Während wir reden, wurde einem Rettungsschiff, der "See-Watch 3" mit 50 geretteten Migranten, das Anlegen in Lampedusa verweigert - der italienischen Insel, die am nächsten zur libyschen Küste liegt. Jetzt steuert das Rettungsschiff Malta an. Wir wissen auch nicht, ob Malta es aufnehmen wird. Malta sagt: 'Wir sind eine kleine Insel. Wir müssen zu viele nehmen. Wir sind an vorderster Front.' Also, was passiert mit diesen Leuten?"

Filippo Grandi:"Während der vergangenen drei oder vier Monate hatten wir mehrere Fälle wie diesen, um Weihnachten die beiden Schiffe im Mittelmeer. Es waren drei schwierige Wochen, und diese 49 Menschen stehen für einen Kontinent mit 500 Millionen Menschen. Einer der reichsten Teile der Erde, also: Wo liegt das Problem? Am Ende gab es eine Lösung, 6, 7 oder 8 Länder haben sich entschieden, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Das ist gut, weil ich Italien, Griechenland und Spanien insofern zustimme, dass es nicht sein kann, dass ein Land alle aufnimmt. Aber dafür braucht es ein funktionierendes System. Andernfalls gibt es Verhandlungen, die im gegenwärtigen politischen Klima sehr schwierig werden."

Euronews:"Auch das war eine Ad-hoc-Lösung."

Filippo Grandi:"Absolut. Und zwar nur für dieses eine Schiff, darauf wette ich mit Ihnen."

Euronews:"An Stelle einer Strategie oder Politik. Werfen wir einen Blick auf eine dieser Strategien. Die [Operation Sophia](Operation Sophia) als europäische Marineoperation im Mittelmeer. Seit 2015 wurden rund 50.000 Menschen gerettet, und es wurde gegen Schlepper vorgegangen. Jetzt sieht so aus, als ob die von den Italienern geleitete Operation - an der Seestreitkräfte vieler europäischen Nationen einschließlich der Deutschen beteiligt sind, zurückgefahren und zu Ende gehen könnte. Was sagen Sie dazu?"

Filippo Grandi:"Ich bin besorgt, und zwar nicht nur um die Operation Sophia, die übrigens bereits im vergangenen Jahr heruntergefahren wurde, sondern um die gesamten Rettungsmissionen im Mittelmeer. Sie wissen, dass NGOs dabei eine wichtige Rolle gespielt haben. Diese NGOs wurden öffentlich angegriffen, kritisiert, in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkt. Sie wurden beschuldigt, den Menschenhandel geschürt und verstärkt zu haben, während sie in Wirklichkeit zusammen mit den nationalen Küstenwachen und den Schiffen der Operation Sophia eine unverzichtbare Arbeit bei der Rettung von Menschen leisten. Nicht nach dem Flüchtlings- oder Migrationsgesetz, sondern nach uraltem Seerecht, das auf das 17. Jahrhundert zurückgeht. Wir haben eine Pflicht, und die gilt weltweit. Es ist eine Frage der Menschlichkeit, Menschen in Seenot zu retten."

Euronews:"Und jetzt wird eher gekürzt, als die gemeinsamen Ressourcen zu nutzen. Selbst die Deutschen sagen das, weil ihre Schiffe von den Italienern in Gebiete geschickt werden, in denen es keine Flüchtlinge gibt."

Filippo Grandi:"Sie haben es eben schon richtig gesagt, wir haben einen Rückgang ankommender Personen, einen wirklich starken Rückgang. Aber gleichzeitig gibt es viel mehr Tote, im Verhältnis zur Zahl derjenigen, die noch bei uns ankommen."

Euronews:"Wir hatten dieses Jahr eine ganze Reihe von Todesfällen - bei weniger Ankommenden."

Filippo Grandi:"Wir schätzen, dass sich zwischen 2017 und 2018 der Prozentsatz derer, die ihr Leben verloren haben, verdoppelt hat. Das bedeutet, es gibt weniger Rettungen. Aber lassen wir das alles beiseite, ich verstehe die Komplexität dieses Problems voll und ganz. Letztendlich ist das für Europa absolut inakzeptabel. Und ich spreche hier als Europäer, nicht als Hochkommissar für Flüchtlinge."

Nur ein geeintes Europa kann die Migrationskrise meistern

Euronews:"Sie haben gesagt, diese Migranten- und Flüchtlingswanderungen - ich zitiere - sie sollten nach Grundsätzen und pragmatisch gemanagt werden. Das hört sich gut an, aber was bedeutet das in der Praxis?"

Filippo Grandi:"Praktisch heißt das, ein besser funktionierendes Asylsystem zu haben. Es bedeutet eine bessere Verteilung der Ankommenden, und wie gesagt, nicht nur auf einige Länder. Weiter ein System, das effizienter und schneller darüber entscheidet, wer Flüchtling ist und wer nicht. Wir haben der Europäischen Union unzählige Vorschläge für ein besseres System gemacht. Wir fordern ein tragfähiges System, das Schutzmaßnahmen beinhaltet. Und wir sagen auch, dass es effizient sein muss. Sonst warten die Menschen zu lang, dann verliert das System Wirkung und Wert. Und dann muss man natürlich irgendwie mit denen umgehen, die nicht als Flüchtlinge anerkannt werden. Sie brauchen eine andere Behandlung, sie sind Migranten, aber auch Migration ist legitim. Aber Migration hat eine andere Logik, eine andere Dynamik. Das heißt, einige Leute müssen vielleicht in ihre Heimatländer zurückgebracht werden. Aber das geht nicht, wenn es keine wirksamen Vereinbarungen zwischen europäischen und den Herkunftsländern gibt. Das ist also hochkomplex. Ich unterschätze diese Komplexität nicht einen Augenblick, das macht es sehr schwierig. Europa muss geeint werden, denn in dieser Hinsicht gibt es zur Zeit keine Einigkeit."

Euronews:"Viele denken aber, in dieser modernen Welt wird es immer schwieriger, zwischen einem Flüchtling, für den es gesetzliche Verpflichtungen durch das Asylrecht gibt und einem Wirtschaftsmigranten zu unterscheiden, der ein besseres Leben sucht. Vielleicht fühlen sie sich in ihrem Heimatland nicht sicher, sind aber keine echten Flüchtlinge, und sehen anderswo einfach bessere Chancen für sich. Kann man ihnen das vorwerfen? Diese Unterscheidung funktioniert nicht mehr."

Filippo Grandi:"Einem Teil des Arguments würde ich zustimmen, es ist schwieriger geworden, eine Unterscheidung zu machen. Alle fliehen aus triftigen Gründen, oder sie wandern aus, weil sie gute Gründe haben. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Ursachen, und die mischen sich auch. Nehmen sie die Venezolaner, ich war im Oktober dort, es war sehr interessant. Die Venezolaner verlassen ihr Land in großer Zahl, wir schätzen, dass in den vergangenen Jahren etwa 3 Millionen Menschen ihr Land verlassen haben. Die Gründe können sein, dass sie ihre Kinder nicht mehr ernähren können, dann gibt es politische Verfolgung, und dazwischen gibt es viele weitere, gute Gründe. Es ist schwierig, aber wenn man über diese Fälle entscheidet, muss man sehr vorsichtig sein, denn ein Mensch, den man in sein Land zurückschickt, darf nicht Gefahr laufen, sein Leben zu verlieren, das ist etwas, was wir nicht sehenden Auges tun können. Und so definiert man Maßstäbe für den internationalen Schutz. Und dann gibt es noch verschiedene Arten an Schutz, den sie Menschen gewähren können: vorübergehenden Schutz, humanitären Schutz, den Flüchtlingsstatus als solideste Variante. Diese Unterscheidungen sind noch immer gültig - und wichtig. Wenn wir das Asyl als solches erhalten wollen, müssen wir uns dafür engagieren, dann muss wieder diskutiert werden, dann brauchen wir Europas Einstimmigkeit, um das konsequent umzusetzen."

Libysche Lager sind Höllenlöcher

Euronews:"Eine Antwort Europas war, Libyen finanziell zu unterstützen, wo ein Großteil der Migranten und Flüchtlinge afrikanischen Boden verlässt, um sich nach Europa aufzumachen. Europa finanziert diese Lager, und dass sie in diese Lager zurückgebracht werden, wenn sie auf See aufgefischt werden. Und nach allem, was man liest, sind diese libyschen Lager Höllenlöcher."

Filippo Grandi:"Ja, ich war in diesen Lagern."

Euronews:"Und habe ich Recht?"

Filippo Grandi:"Sie haben völlig Recht. Kürzlich habe ich gesagt - darüber wurde berichtet und ich wiederhole es - wenn ich ein Flüchtling, ein Migrant, einfach eine Person in einem dieser Lager wäre, würde ich jedes Risiko eingehen, um dort wegzukommen, einschließlich der lebensgefährlichen Überquerung des Meeres - das ist ihnen durchaus bewusst. Diese Lager sind so schrecklich, so gefährlich und so demütigend für die Menschen, dass es verständlich ist, von dort fliehen zu wollen. Aber ich muss etwas dazu sagen, dass man Libyen fianziell unterstützt. Wenn die internationale Gemeinschaft Libyen (finanziell) richtig unterstützen würde, wäre das keine schlechte Sache: Erstens, um einen Konflikt zu lösen, der dringend beendet werden muss, denn er ist die Ursache für alle anderen Probleme in Libyen. Und dann natürlich der Wiederaufbau des Landes. Das Problem ist aber, dass die meisten Ressourcen anscheinend für einen Teil der libyschen Behörden - die Küstenwache - eingesetzt werden. Warum? Weil die Küstenwache die Küste kontrolliert und das dient dem europäischen Zweck, die Ankünfte zu begrenzen. An sich ist das eine gute Sache, die Küstenwache zu verstärken und Menschen entlang der Küste zu retten. Das Problem ist, dass, wenn man nicht auf alles andere eingeht, das passiert, was Sie angesprochen haben: Man bringt Bootsflüchtlinge nach Libyen zurück, steckt sie wieder in die Lager und das Ganze beginnt von vorn: Man sucht sie wieder auf dem Meer, und einige rettet man."

Euronews:"Ich las über 144 Flüchtlinge bzw. Migranten, die von einem Frachtschiff gerettet, dann aber in ein Aufnahmelager in Misrata im Nordwesten Libyens gebracht wurden. Und von dort gab es Berichte über Folter, sexuelle Übergriffe, Erpressung und Zwangsarbeit. Das ist doch keine europäische Migrationspolitik!"

Filippo Grandi:"Bestimmt nicht. Aber wir müssen das Problem realistisch betrachten. In Libyen sind Zehntausende von Menschen gestrandet, und offensichtlich können wir nicht alle von ihnen in Europa aufnehmen. Das ist klar. Und viele von ihnen, die keine Flüchtlinge sind, wollen auch zurück in ihre Heimat. Es gibt Wirtschaftsflüchtlinge, die erkannt haben, wie schwierig und gefährlich das Ganze ist. Diese Menschen wollen zurück. Vor rund einem Jahr hat die Internationale Organisation für Migration (IOM), eine unserer Partnerorganisationen, ihre Arbeit dort aufgenommen. Wir machen Fortschritte. Die IOM fliegt Menschen zurück, die in ihre Länder zurückkehren wollen. Und den Flüchtlingen, die das nicht können, helfen wir, aus Libyen rauszukommen. Aber wir sprechen immer noch von einem Bruchteil der Summe. Es wäre hilfreich, wenn wir diese Arbeit ausweiten könnten. Wenn wir die Leute in Libyen schützen und ihnen außerhalb des Landes Sicherheit bieten könnten, so dass sie keinen Menschenhandel und nicht die gefährliche Überquerung des Mittelmeers fürchten müssten. Aber dafür brauchen wir mehr Platz. In Libyen ist der Platz begrenzt. Viele dieser Lager, von denen Sie sprechen, werden nicht wirklich von den Behörden betrieben, sondern von Milizen. Und das sind keine politischen Gruppen, das sind einfach nur Kriminelle, Banden, die von jeglicher Art von Handel, auch von Menschenhandel, profitieren."

Politiker müssen aufhören, auf Kosten von Menschen Politik zu machen

Euronews:"Das ist Libyen, Herr Hochkommissar, aber 500 Menschen wurden gerade aus einem Flüchtlingsaufnahmezentrum in der Nähe Roms vertrieben. Von der italienischen Regierung. Wir sprechen nicht von Libyen, von Nordafrika. Das passierte in Europa in der Nähe einer der größten Städte Europas. Wenn man sich diese Geschichten ansieht, Geschichten, die dem Ganzen ein Gesicht geben, die zeigen, was wirklich passiert, ist es schwer, optimistisch zu bleiben."

Filippo Grandi:"Ich würde es gern ein bisschen anders ausdrücken. Diese Geschichten helfen, weil sie zeigen, wie entmenschlichend diese Politik geworden ist. Was in Italien geschehen ist, ist das Ergebnis eines neuen Gesetzes, dass von der Regierung verabschiedet wurde. Wir haben dieser Regierung öffentlich gesagt, dass dieses Gesetz nicht gut für die Menschen ist, das es eigentlich dem Schutz und der Hilfe dienen sollte, es aber mehr Probleme schafft, und insbesondere die Unterstützung von Asylbewerbern dadurch gekürzt wird. Ihnen der Zugang zu diesen Zentren verwehrt wird. Die Situation war vorher nicht perfekt. Sie musste verbessert werden. Aber das ist ein Rückschritt, kein Schritt nach vorn."

Euronews:"Aus Ihrer Behörde, es war einer Ihrer Leute, nicht Sie selbst, hieß es: 'Politiker müssen aufhören, auf Kosten von Menschen Politik zu machen'. Das hört sich gut an, aber schauen wir uns nur mal die bevorstehenden Europawahlen an. Dort wird Migration im Mittelpunkt stehen, die populistischen Parteien werden die Weichen stellen. Und dort wird genau das passieren. Und es wird noch schlimmer, bevor es besser wird."

Filippo Grandi:"Leider muss ich Ihnen zustimmen. Nicht dass die Migration im Mittelpunkt steht, macht mir Sorgen. Das ist ein wichtiges Thema, ein wichtiges globales Problem, das richtig angegangen werden muss. Aber man muss sich ernsthaft damit beschäftigen, nicht nur einen Hype daraus machen, wer die nächsten 20 Leute in ein Boot bringt, denn das ist die Migrationsdebatte heute. Darauf reduziert sie sich. Anstatt eine Diskussion über die Grundursachen der Wanderungsbewegungen von Menschen zu führen, über politische Ursachen, den Klimawandel, die Wirtschaft und so weiter. Das ist die Art von Migrationsdebatte, die Europa führen sollte und die es nicht führt. Man kann also nur hoffen, dass diese Wahlen vorbeigehen und wir in eine Phase kommen, in der wir wieder eine ernsthafte Diskussion beginnen können. Europa verdient es. Die Europäer verdienen es. Und Millionen von Menschen, die auf der Flucht sind, haben es sicherlich verdient."

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