Kommt das Grundeinkommen in Europa? Spanien stellt Existenzminimum vor

Viele Menschen sind wegen der Pandemie in finanziellen Schwierigkeiten.
Viele Menschen sind wegen der Pandemie in finanziellen Schwierigkeiten. Copyright Emilio Morenatti/AP
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Von Marta Rodriguez Martinez
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In vielen europäischen Ländern wird das Thema derzeit wieder diskutiert, selten war es so aktuell wie in der unvergleichlichen Krise, in der Europa steckt: Die Forderung nach einen universellen Grundeinkommen.

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Papst Francis, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und der Vizepräsident der Europäischen Zentralbank, Luis Guindos, sind sich einig: Angesichts des beispiellosen wirtschaftlichen Abgrunds, an den die Gesundheitskrise die Welt gebracht hat, ist es an der Zeit, über ein universelles Grundeinkommen nachzudenken.

Ein Konzept, das vor einem Jahr für viele ebenso schwer vorstellbar war wie die Pandemie, die einen Großteil der Weltbevölkerung erreicht hat.

Doch die Lage der Weltwirtschaft nach dem Coronavirus erfordert Veränderung.

"Die Zeit ist reif für etwas ganz anderes", heißt es in einem Artikel der britischen Zeitung Financial Times zur Verteidigung dieses universellen Grundlohns, den sie als "eine bedingungslose Geldzahlung für alle" definiert, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu entlasten, die aufgrund der Krise ihre Arbeit verloren haben.

Wirtschaftswissenschaftler Daniel Susskind von der Universität Oxford vergleicht den Moment, in dem wir uns befinden, mit dem Zweiten Weltkrieg. Im Jahr 1942 war der britische Ökonom und Politiker William Beveridge beauftragt worden, eine Vision für die Wirtschaft im Vereinigten Königreich zu Friedenszeiten darzulegen.

In Spanien wird es konkret

Die spanische Regierung hat bereits erste Schritte unternommen. An diesem Freitag stellt das Kabinett die Pläne für Familien vor, die von extremer Armut bedroht sind. Die Rede ist vom "mínimo vital" - einer Art Existenzminimum von etwa 1.000 Euro für 850.000 Familien.

"Es wird strukturell und dauerhaft sein, es ist hier, um zu bleiben", sagte Sozialversicherungsminister José Luis Escrivá zuvor in einem Interview mit der spanischen Zeitung El País. "Es ist etwas Neues, das die soziale Sicherheit so nicht gekannt hat und das wir versuchen, so weit wie möglich zu beschleunigen".

Die durch das Coronavirus ausgelöste Krise hat in Spanien fast 890.000 Arbeitsplätze zerstört, seit im März der Notstand ausgerufen wurde. Ein Zahl, die das Land zuvor nur aus den schlimmsten Monaten der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 kannte.

Allerdings ist ein Existenzminimum nicht dasselbe ist wie ein universelles Grundeinkommen, das ohne jegliche Bedingungen gewährt wird, nur weil man Bürger des Landes ist.

Ein Sicherheitsnetz

"Das Coronavirus hat die Schwächen bei der Gewährleistung der wirtschaftlichen Sicherheit für ganz Europa aufgedeckt", sagte Anthony Painter, Direktor des RSA-Zentrums für Aktion und Forschung, gegenüber Euronews. "Die Arbeitnehmer stehen vor einer unerträglichen Wahl zwischen ihrer Arbeit, ihren Familien und ihrer Gesundheit. Mit dem universellen Grundeinkommen wissen sie, dass sie nicht zu Boden gedrängt werden, es wird immer ein Netzwerk geben, um diese Konflikte zu entschärfen."

Wenn wir das Ende des Gesundheitsnotstands erreichen, werde jede Demokratie beurteilen müssen, wie ihr Wohlfahrtsstaat dieser intensiven Belastung standgehalten hat, so Painter. "Und wo es zu viele Löcher gibt, sollte eine Bewegung in Richtung Grundeinkommen fest auf der Tagesordnung stehen", fügt er hinzu.

"Meiner Ansicht nach werden traditionell robuste Wohlfahrtsstaaten wie die in Skandinavien, Frankreich und Deutschland die Belastungen einigermaßen gut bewältigen. Alle anderen, einschließlich Spanien und Großbritannien, werden ihre sozialen Sicherheitsnetze überdenken müssen, wenn wir in Zukunft mehr Sicherheit und Widerstandsfähigkeit haben wollen."

Eine offene Debatte in Europa

Großbritannien hat eine solche Maßnahme vorerst ausgeschlossen. Der britische Finanzminister Rishi Sunak lehnte den Vorschlag am Dienstag ab. Er sagte, es sei nicht die richtige Antwort auf die Coronavirus-Krise und die Verteidigung des derzeitigen Wohlfahrtssystems.

In Italien, das als erstes europäisches Land seine Bürger und seine Wirtschaft unter Quarantäne gestellt hat, gab es das Konzept bereits vor der Pandemie. Die 5-Sterne-Bewegung in der Regierungskoalition führte 2019 ein Mindesteinkommen (reddito di cittadinanza auf Italienisch) für Familien ein, die bestimmte "Verwundbarkeitskriterien" erfüllen. Nun schlägt die italienische Arbeitsministerin Nunzia Catalfo die Erweiterung für rund 3 Millionen italienische Bürger vor.

In Deutschland wurde im März ein Antrag an den Petitionsausschuss des Bundestages mit mehr als 450.000 Unterschriften zugunsten des universellen Grundeinkommens eingereicht. Aber es ist unwahrscheinlich, dass es Gesetz wird, da es einer parlamentarischen Mehrheit bedarf und CDU/CSU gegen das Vorhaben sind.

"Die Stärke des Universaleinkommens liegt darin, dass es, was auch immer passiert, immer da ist, wenn es eine größere Krise gibt", verteidigte Benoît Hamon, der sozialistische Kandidat für die französische Präsidentschaft 2017, in einer Stellungnahme der französischen Tageszeitung Le Monde das Grundeinkommen. "Es ist das soziale Gegenmittel gegen die Wiederholung solcher Gesundheitskrisen."

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatte Ende 2018 seine Absicht bekundet, "ein universelles Arbeitseinkommen zu schaffen, das möglichst viele Leistungen zusammenfasst und für das der Staat voll verantwortlich sein wird". Damit lehnte er den Vorschlag Hamons ab, in dem es keine Bedingungen, wie etwa einen Arbeitsplatz, für den Erhalt der Leistung gibt.

"Ich habe nie an ein bedingungsloses Universaleinkommen geglaubt", sagte Macron damals.

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Beispiel Finnland

Europas Pionierland beim Experimentieren mit dem universellen Grundeinkommen ist Finnland. Der Staat hat 2017 einen Versuch gestartet, an dem 2.000 finnische Bürger teilnahmen, die als erste Europäer eine monatliche Lohnsumme von 560 Euro steuerfrei vom Staat erhielten - unabhängig davon, ob sie Arbeit fanden oder nicht.

Die Teilnehmer im Alter zwischen 25 und 58 Jahren wurden nach dem Zufallsprinzip aus über 1.000 Arbeitslosengeldbeziehern ausgewählt.

Vorläufige Ergebnisse der Studie zeigten, dass es die Beschäftigung nicht förderte, aber das Wohlbefinden und das Vertrauen der Teilnehmer verbesserte, so die Forscher.

Bei geschätzten Kosten von etwa 20 Millionen Euro hat die finnische Regierung beschlossen, sie weder zu erneuern und im April 2018 auf andere Bevölkerungsgruppen auszudehnen.

Nur zwei Jahre später hat sich die Weltszene umgedreht, und dieser Prozess gewinnt wieder an Bedeutung.

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"Die Ergebnisse zeigten neutrale Auswirkungen auf die Beschäftigung, wo die Gegner des universellen Grundeinkommens behaupten, dass es der Arbeit abträglich wäre", so Painter gegenüber Euronews. "Und das Vertrauen in andere, in die Regierung und in die künftigen Berufsaussichten nahm zu".

Befürworter hoffen jetzt, dass die Corona-Krise das universelle Grundeinkommen von einem Gegenstand ideologischer Debatten zu einer konsolidierten Realität macht - so wie der Wohlfahrtsstaat aus dem Zweiten Weltkrieg hervorkam.

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