Covid-19-Tote totgeschwiegen? Harsche Kritik an Schweizer Corona-Strategie

Im Krankenhaus in Genf
Im Krankenhaus in Genf Copyright Laurent Gillieron/AP
Copyright Laurent Gillieron/AP
Von Euronews mit AP, Blick, 20.min, Watson.ch
Diesen Artikel teilenKommentare
Diesen Artikel teilenClose Button

Experten kritisieren die Verantwortlichen der Schweiz für ihren halbherzigen Kurs zur Eindämmung des Coronavirus, während die Taskforce vorsichtig optimistisch ist.

WERBUNG

An diesem Wochenende gibt es heftige Kritik am Corona-Kurs der Regierung und der Gesundheitsbehörden der Schweiz. Der WHO-Sondergesandte für Covid-19 David Nabarro und SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach meinen, in der Schweiz sei viel versäumt worden. Nabarro spricht von einer "sehr ernsten Lage" und Lauterbach findet, die Schweiz habe "vieles falsch gemacht".

Auch innerhalb des Landes regt sich Kritik daran, dass nicht über die an oder mit Covid-19 Verstorbenen gesprochen werde. Laut Bundesamt für Gesundheit sind zuletzt 111 Todesfälle innerhalb von 24 Stunden zu beklagen. Insgesamt gab es in der Schweiz 3.575 Corona-Tote.

Die EU-Behörden verzeichnen in den vergangenen 14 Tagen eine Sterblichkeitsrate pro 100.000 von 13  für die Schweiz etwas über der in Frankreich, sehr viel höher als in Deutschland.

Die Corona-Taskforce ist allerdings vorsichtig optimistisch angesichts der leicht sinkenden Zahl von Neuinfektionen mit dem Coronavirus - mit zuletzt unter 5.000 bestätigten Fällen pro Tag. Weiterhin setzen die Verantwortlichen auf lokale EInschränkungen und wollen einen landesweiten Lockdown vermeiden.

WHO-Experte warnt vor dritter Welle

In einem Interview mit Watson.ch und anderen Medien warnt der WHO-Sondergesandte im Kampf gegen Covid-19, David Nabarro, nicht nur die Schweiz vor einer dritten Welle Anfang kommenden Jahres. Nabarro erklärt: "Die europäischen Reaktionen waren unvollständig. Sie haben es verpasst, die nötige Infrastruktur aufzubauen in den Sommermonaten, nachdem sie die erste Welle unter Kontrolle gebracht hatten. Nun haben sie die zweite Welle. Wenn sie nicht handeln, werden sie eine dritte Welle haben, und zwar Anfang des nächsten Jahres."

In der Westschweiz wüssten viele Menschen nicht, an wen sie sich wenden sollten, wenn sie an Covid-19 erkrankten, beklagt Nabarro. Seine Ansicht nach hätte die Schweiz angesichts der hohen Zahl an Coronavirus-Infektionen den nationalen Notstand ausrufen müssen.

Martial Trezzini/ KEYSTONE / MARTIAL TREZZINI
WHO-Sondergesandter für Covid-19, David NabarroMartial Trezzini/ KEYSTONE / MARTIAL TREZZINI

David Nabarro hat in Oxford studiert, ist Endokrinologe und war bei der Abstimmung um den WHO-Chefposten gegen den aktuellen Amtsinhaber unterlegen. Er sieht - wie viele andere Experten - die ostasiatischen Staaten als Vorbilder im Kampf gegen die Pandemie.

Karl Lauterbach sieht in der Schweiz "unverzeihliches Poltikversagen"

Auch der SPD-Gesundheitsexperte übt harsche Kritik an der Schweizer Regierung und spricht von einem "unverzeihlichen Politikversagen". Karl Lauterbach meint, im Sommer hätte eine bessere Vorbereitung stattfinden und die Intensivkapazitäten hätten ausgebaut werden müssen.

Auf Nachfrage von Blick, erklärt der Epidemiologe dazu, dass die Schweiz stolz darauf ist, der Wirtschaft weniger geschadet zu haben als andere Länder: "Erstens ist das aus meiner Sicht nicht richtig – der wirtschaftliche Schaden in Deutschland ist nicht viel höher. Zweitens fände ich es armselig, wenn man stolz darauf ist, die Wirtschaft gerettet zu haben, wenn dafür sehr viele Leute sterben."

Zudem findet der Epidemiologe, die Menschen in der Schweiz seien nicht genügend über Aerosole und das Risiko in Restaurants informiert und gewarnt worden.

Diesen Artikel teilenKommentare

Zum selben Thema

Covid-19-Zahlen in Europa: Proteste in Berlin, Bordeaux und Lissabon

Russland will nicht an Friedensgesprächen zur Ukraine in der Schweiz teilnehmen

Tragödie am Matterhorn: Leichen von 5 der 6 verunglückten Schweizer gefunden