Angriff auf die Demokratie: Welche Parallelen gibt es zwischen Brasilien und den USA?

Wie ähnlich sind sich der Sturm auf das Kapitol 2021 und der Sturm auf die Regierungsgebäude in Brasilien?
Wie ähnlich sind sich der Sturm auf das Kapitol 2021 und der Sturm auf die Regierungsgebäude in Brasilien? Copyright Stephane Bonhomme / Euronews
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Von Andrea Carlo
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In Brasilia haben Anhänger:innen Bolsonaros Regierungsgebäude gestürmt. Welche Parallelen gibt es zum Sturm auf das Kapitol 2021?

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Am Sonntag haben Unterstützer:innen von Brasiliens nationalistischem Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro Regierungsgebäude in Brasilia gestürmt. Ihr Ziel: Die Wahl kippen, die den linksgerichteten Regierungschef Luiz Inácio Lula da Silva Anfang des Monats an die Macht brachte.

Die Eindringlinge randalierten im Senat und dem Regierungssitz des Präsidenten, während sie die brasilianische Flagge mit dem Schriftzug "Ordnung und Fortschritt" schwenkten - ein Versuch, die friedliche Machtübergabe zu verhindern.

Die Nachricht vom Aufstand am Sonntag, dem größten Angriff auf die brasilianische Demokratie seit Jahrzehnten, hat weltweit für Erschütterungen gesorgt. 

Was viele jedoch am meisten beunruhigt hat, sind die Erinnerungen an eine ähnliche Aktion in den USA fast genau zwei Jahren, als Anhänger:innen des republikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump am 6. Januar das Kapitol in Washington DC stürmten. Auch sie wollten eine Machtübernahme verhindern: die von Joe Biden.

Der ähnliche Zeitpunkt der Ereignisse hat Kommentatoren und Analysten dazu veranlasst, Vergleiche zwischen den beiden Ereignissen zu ziehen. Aber sind die Aufstände wirklich so ähnlich, wie sie scheinen?

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Vorfälle einander sehr ähnlich zu sein.

Die Gemeinsamkeiten

Die Geschichte sind bemerkenswert ähnlich. In beiden Fällen bestreitet ein rechtsextremer Präsident mit einer Vorliebe für Twitter seine Niederlage bei einer demokratischen Wahl und verbreitet Unwahrheiten und Verschwörungstheorien an seine treue Anhängerschaft.

Am Morgen - oder in den USA am Vorabend - der Amtseinführung seines Nachfolgers verwandelt sich diese Stimmung schließlich in einen gewalttätigen Aufstand, der sich gegen die Gebäude richtet, die das Herzstück der demokratischen Systeme beider Länder bilden.

Fenster werden eingeschlagen, Kunstwerke und Wahrzeichen beschädigt - im Falle Brasiliens sogar die eigene Verfassung von 1988 - und das alles von Demonstrierenden, die in die Sternenflagge ihres jeweiligen Landes gehüllt sind.

Im Zentrum beider Aufstände steht eine ähnliche nationalistische Ideologie, die sich seit jeher gegen demokratische Machtwechsel wehrt.  

"Ein erbärmlicher Putschversuch von Bolsonaro", so beschrieb der argentinische Historiker Federico Finchelstein, ein Experte für faschistische Geschichte, die Ereignisse vom Sonntag.

Folglich haben sowohl Biden als auch Lula die Demonstranten scharf verurteilt und sie als Extremisten und Bedrohung für die Sicherheit ihrer Länder bezeichnet. Letzterer ging jedoch noch einen Schritt weiter und bezeichnete sie als "Faschisten" - ein Wort, das führende US-Politiker im Allgemeinen nur ungern verwenden.

Bei beiden Ereignissen landeten die abgesetzten Staatsoberhäupter der beiden Länder letztlich am selben Ort - in Florida. Während Trump in seiner riesigen Residenz Mar-a-Lago Zuflucht gefunden hat, scheint Bolsonaros Schicksal etwas weniger glamourös zu sein: Der Ex-Präsident wurde angeblich beim Verzehr von Chicken Wings in einem Fast-Food-Restaurant in Orlando gesichtet.

Die Unterschiede

Auch wenn Vergleiche zwischen Brasilien und den antidemokratischen Unruhen in den USA durchaus angebracht sind, gibt es doch wesentliche Unterschiede.

Bemerkenswert sind die unterschiedlichen Zeitpunkte der beiden Aufstände. Der Sturm auf das Kapitol fand zwei Wochen vor Bidens Amtsantritt statt, während der Aufstand in Brasilien über eine Woche nach Lulas Amtsantritt stattfand. Der erste Aufstand war ein Versuch, die Machtübergabe zu verhindern, der zweite zielte darauf ab, sie zu stürzen.

Der brasilianische Aufstand richtete sich gegen den Präsidentenpalast. Das Weiße Haus, in dem Trump am 6. Januar 2021 noch offiziell residierte, blieb damals unangetastet.

Der vielleicht größte Unterschied liegt jedoch in den völlig unterschiedlichen sozio-politischen Kontexten, die die Ereignisse umgeben.

Manuel Balce Ceneta/AP
Anhänger von Präsident Donald Trump treffen vor dem Senatssaal auf Beamte der US-Kapitolpolizei. 6. Januar 2021Manuel Balce Ceneta/AP

Der Kontext

Als ein Land, dessen Demokratie im vergangenen Jahrhundert nicht unter großen Umwälzungen gelitten hat, ist der 6. Januar in den USA als ein besonders dunkler Moment in das öffentliche Gedächtnis eingebrannt.

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Brasilien hingegen hat eine turbulentere Beziehung zur Demokratie, die erst 1985 nach einer 21-jährigen Militärdiktatur formell wieder eingeführt wurde. Das vorangegangene Jahrhundert ist von Revolutionen, Putschen und Aufständen geprägt. Die Geschichte Brasiliens ist von größerer politischer Instabilität geprägt als die der USA.

Das Militär hat bei den antidemokratischen Aufständen in beiden Ländern eine ganz andere Rolle gespielt. Ehemalige Angehörige der Streitkräfte mögen in die Anschläge auf das US-Kapitol verwickelt gewesen sein, aber in Brasilien unterstützten hochrangige Militärs die Pro-Bolsonaro-Proteste, die den Unruhen vorausgingen, auch wenn sie sich nicht selbst an den Unruhen vom Sonntag beteiligten.

"Ich denke, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Teile des brasilianischen Militärs die Geschehnisse unterstützt haben", schrieb der in den USA lebende Historiker Rafael Ioris. "Aber als es darauf ankam, verhielten sich die Streitkräfte ruhig".

Eraldo Peres/Ap
Demonstranten und Anhänger des Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro, stoßen mit der Polizei vor dem Planalto-Palast in Brasilia, Brasilien, zusammen,Eraldo Peres/Ap

Diese Unterschiede zwischen den beiden Ländern könnten dazu führen, dass die Nachwirkungen der beiden Ereignisse recht unterschiedlich ausfallen. 

Die US-Justiz verfolgte eine harte Linie im Umgang mit den Aufständischen, von denen Hunderte verurteilt wurden. Zwar ist die Schwere der Angriffe vom 6. Januar 2021 unter Konservativen umstrittener, in der Öffentlichkeit wurden Verantwortliche aber an den Pranger gestellt - vor allem in den Medien.

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Lula verspricht vielleicht ein ähnlich eisernes Vorgehen, indem er Reportern sagt, dass "alle Leute, die dies getan haben, gefunden und bestraft werden". 

Aber da bei Brasiliens Putschversuch möglicherweise Personen beteiligt sind, die in der politischen Nahrungskette des Landes weit oben stehen, bleibt abzuwarten, ob solche Versprechen tatsächlich in Erfüllung gehen.

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