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Russlands Schattenarmee: Wegwerf-Agenten spionieren in Deutschland

Spionage und Sabotage: Russland setzt offenbar Wegwerfagenten in Deutschland ein
Spionage und Sabotage: Russland setzt offenbar Wegwerfagenten in Deutschland ein Copyright  Grafik: Olga Lavrentyeva
Copyright Grafik: Olga Lavrentyeva
Von Johanna Urbancik
Zuerst veröffentlicht am
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Deutsche Nachrichtendienste gehen davon aus, dass Russland sogenannte "Wegwerf-Agenten" einsetzt – angeworbene Zivilisten, die für wenig Geld Sabotage, Spionage oder Propaganda betreiben.

Moskau greift Deutschland zunehmend im hybriden Raum an: mit Spionage, Desinformation und mutmaßlich auch Drohnen-Überflügen. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zufolge befinden wir uns zwar nicht im Krieg, aber auch nicht ganz im Frieden.

Die vergangenen Wochen waren überschattet von Drohnen-Überflügen an militärischer, kritischer und ziviler Infrastruktur, wie dem Münchner Flughafen. Sowohl der Kanzler als auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) haben Russland für einen Teil der Überflüge verantwortlich gemacht.

Wer genau die Drohnen gesteuert hat, ist allerdings noch unklar. Dafür müsste man die Bediener der unbemannten Flugobjekte fassen. Bislang konnte offenbar nicht einmal eine der Drohnen geborgen werden. Klar ist jedoch, dass es zwei Arten von Überflügen gibt: professionelle Einsätze mit größeren Drohnen – und amateurhafte Flüge, bei denen handelsübliche, kleinere Modelle verwendet werden.

Ein Schild, das Drohnen verbietet, am 3. Oktober 2025, am Flughafen München
Ein Schild, das Drohnen verbietet, am 3. Oktober 2025, am Flughafen München Enrique Kaczor/(c) onw-images

Bei Letzteren wird vermutet, dass ein Teil der Flüge von sogenannten "Wegwerf-Agenten", auch bekannt als "Low-Level Agents", durchgeführt worden sein könnte.

Wegwerf-Agenten: Kurzer Einsatz, hohes Risiko

Vor kurzem haben der Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundeskriminalamt (BKA) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) eine Warnung veröffentlicht, in der sie Menschen raten, sich nicht als "Wegwerf-Agent" von ausländischen Akteuren anheuern zu lassen.

Darunter versteht man Menschen, die sich meist über die sozialen Netzwerke anheuern lassen, um für eine verhältnismäßig geringe Summe "kleine" und "leichte" Aktionen, wie Sachbeschädigung, Ausspähaktionen oder Brandstiftung durchzuführen.

"Wegwerf-Agenten werden in der Regel für handfeste Aktionen eingesetzt", erklärt Dr. Christopher Nehring, Experte für Desinformation und Intelligence Direktor des Cyber Intelligence Institutes im Gespräch mit Euronews.

Er räumt jedoch ein, dass diese Agenten zwar Geheimdienstarbeit tätigen, man sie jedoch nicht als Spione bezeichnen kann, da Spionage für das verdeckte Beschaffen von Informationen steht. "Dafür werden sie eigentlich nicht eingesetzt", so Nehring und fügt hinzu, dass anstelle der Beschaffung von Informationen Sachen in Brand gesteckt, Propagandaaufkleber auf Wände geklebt, Graffitis gesprüht oder Sachen kaputt gemacht werden.

Reicht Ideologie aus, um ein Low-level Agent zu werden?

Der Terrorismus-Experte und Leiter des Counter Extremism Projects, Dr. Hans Jakob Schindler erklärt im Gespräch mit Euronews, dass diese "Agenten" nur für eine einzige Sache angeheuert werden, weswegen sie kein Wissen über die Strukturen der russischen Nachrichtendienste in Deutschland und Europa haben. Aktiv sind sie nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.

Für ausländische Akteure, darunter Russland, haben sie deswegen den Vorteil der Anonymität. Meistens werden sie über russlandfreundliche Telegram-Kanäle gefunden, in denen sie mit pro-russischen Aussagen aufgefallen sind. Die Agenten, die Schindler zufolge in der Regel männlich sind und einen niedrigeren Bildungsgrad haben, werden dann kontaktiert und angeheuert.

"Da geht es eigentlich nur darum, jemanden zu finden, der entweder ideologisch motiviert ist zu helfen oder finanzielles Interesse hat – idealerweise beides", so Schindler. Rein aus ideologischen Gründen engagiert sich laut Schindler jedoch kaum jemand, denn es spiele immer auch ein bisschen das Geld eine Rolle. "Prekäre wirtschaftliche Verhältnisse plus ideologische Nähe ist praktisch das ideale Paket", ergänzt der Terrorismus-Experte.

Die Sache mit den Wegwerf-Agenten ist relativ einfach, so Schindler. Es geht darum, möglichst viele kleinere Aktionen durchzuführen, die vielleicht in der Masse funktionieren, aber auch wenig kosten und das Risiko für die russische Seite natürlich besonders gering halten, erklärt er.

Dem stimmt auch Nehring zu, der bestätigt, dass die Taten der Agenten meistens "nicht wirklich kompliziert" sind. Wenn es um Sabotage-Operationen geht, handelt es sich oft um kleine, relativ wenig schadenstiftende Aktionen, von denen die Menge ein Gefühl der Unsicherheit erzeugt. "Hybride Kriegsführung zielt nicht darauf ab, Deutschland oder die NATO niederzubringen, sondern den Verteidigungswillen politisch zu schwächen, indem ein enormes Unsicherheitsgefühl geschaffen wird", meint Nehring.

Viele ihrer Aktionen wirken zwar harmlos auf den ersten Blick, doch gelten sie als Vorboten einer weiteren Eskalation.

Wie sehen diese Sabotageakte aus?

Im Wahlkampf Anfang des Jahres wurden in mehreren Bundesländern über 270 Autos mit Bauschaum sabotiert und mit Stickern versehen, die das Gesicht des Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck und den Slogan "Sei grüner" zeigten.

Zunächst fiel der Verdacht auf Klimaaktivisten, doch laut einer Spiegel-Recherche soll es sich mutmaßlich um einen russischen Sabotageakt gehandelt haben – mit dem Ziel, gezielt Stimmung gegen die Grünen und ihren Kanzlerkandidaten zu schüren.

Im Fokus steht jedoch auch die militärische Unterstützung der Ukraine. So wurde vor kurzem berichtet, dass russische Spionagedrohnen die Waffenlieferungen an die Ukraine ausspähen. Auch Wegwerf-Agenten werden für Aktionen dieser Art eingesetzt, darunter Dieter S. und Alexander J., die sich dafür vor dem Oberlandesgericht München verantworten mussten.

Der Vorwurf gegen Dieter S. lautet, er habe einem Kontakt zugesagt, Sprengstoff- und Brandanschläge auf militärisch genutzte Infrastruktur und Industrieanlagen in Deutschland durchzuführen. Den Ermittlern zufolge stand ihm Alexander J. spätestens seit März 2024 zur Seite.

Er soll potenzielle Ziele ausgekundschaftet und Bild- und Videomaterial, beispielsweise von Militärtransporten, an seinen Kontakt übermittelt haben. Nach Darstellung der Anklage zielten die Pläne darauf ab, die deutsche Unterstützung für die Ukraine zu behindern. Als mögliches Ziel wurde dafür unter anderem eine Bahnstrecke genannt, die für Rüstungstransporte genutzt wird.

Durch die Anonymität des Internets ist es ausländischen Akteuren möglich, ihre Spuren bei solchen Aktionen zu verwischen und sich "unauffindbar" zu machen. Sollte der angeheuerte Agent bei seinem Sabotage- oder Spionageauftrag erwischt werden, wie im Fall von Dieter S., ist er alleine für die Tat verantwortlich.

Wie werden "Wegwerf-Agenten" von ihrem Auftraggeber behandelt?

Nach Einschätzung der Geheimdienste greift Russland zunehmend auf unerfahrene Handlanger zurück. Der Grund: Seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine wird es für russische Nachrichtendienste immer schwieriger, eigene Agenten in Deutschland einzusetzen.

Zwar ist keine genaue Zahl bekannt, jedoch heißt es verschiedenen Berichten zufolge, dass seit Beginn der großangelegten Invasion der Ukraine mindestens 60 russische Diplomaten aus Deutschland ausgewiesen wurden. Nicht jeder russische Diplomat ist automatisch ein Spion, dennoch gehen viele westliche Nachrichtendienste davon aus, dass manche Diplomaten zur Spionage eingesetzt werden. Sie genießen Immunität und sind offiziell für politische, wirtschaftliche oder kulturelle Aufgaben akkreditiert.

Aufgrund dieser Einschränkung wird der Einsatz von "Low-Level Agents" in Sicherheitskreisen auch ein "Akt der Verzweiflung" genannt.

"Wegwerf-Agenten sind weggeworfen in der Hinsicht", erklärt Schindler und ergänzt, dass die russische Seite sich nicht um das Schicksal der Kurzzeit-Agenten kümmert. "Denen geht es ja nur darum, Unsicherheit zu verursachen und Informationen zu sammeln."

Die Taten werden von "verfassungsfeindlicher Sabotage" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bis zu "geheimdienstlicher Agententätigkeit" in besonders schweren Fällen mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet.

Ermittler konnten bislang meist nur die mutmaßlichen "Wegwerf-Agenten" fassen und nicht die Auftraggeber. Einer Recherche von ZDF frontal zufolge ist das für den deutschen Verfassungsschutz ein ständiges Dilemma: Auch nach gründlicher Prüfung lassen sich die Verantwortlichen oft nicht zweifelsfrei identifizieren.

Wie werden Wegwerf-Agenten rekrutiert? Das lesen Sie morgen auf euronews.de

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