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Erster Atom-Gipfel in Brüssel wirbt für Ausbau der Kernenergie

Das Kernkraftwerk Golfech in Südwestfrankreich
Das Kernkraftwerk Golfech in Südwestfrankreich Copyright Matthieu RONDEL / AFP
Copyright Matthieu RONDEL / AFP
Von Rosie Frost
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Regierungsvertreter aus 35 Ländern, die Kernenergie nutzen, haben beim ersten Atomgipfeltreffen in Brüssel die Rolle der Atomkraft bei der Energiewende und der Stromversorgung hervorgehoben. Gegen das Treffen gab es Protestaktionen von Umweltaktivisten.

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Es ist der erste Atomenergie-Gipfel in Brüssel gewesen. Regierungsvertreter aus 35 Ländern, die an der Kernenergie festhalten, diskutierten die Potenziale der Atomkraft. Die Teilnehmer werben dafür, dass Kernkraft ein dauerhafter Bestandteil des Energiemixes in Europa bleiben soll, unter anderem dank innovativer Reaktortechnik, die es noch nicht gibt. Gegen das Treffen gab es Protestaktionen von Umweltaktivisten. Organisiert wurde der Gipfel von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA und Belgien, welches die EU-Ratspräsidentschaft innehat.

2023 hatte sich eine Allianz aus anfangs elf europäischen Staaten zusammengetan, die bei der zivilen Nutzung und Forschung der Kernenergie zusammenarbeiten wollen. Inzwischen ist die Allianz auf 14 Mitglieder angewachsen und bilden damit eine Mehrheit unter den EU-Staaten.

Welche europäischen Länder nahmen am Kernenergiegipfel teil?

Der belgische Premierminister Alexander De Croo führte gemeinsam mit dem Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde Rafael Mariano Grossi den Vorsitz des Gipfels, an dem auch der Präsident des Europäischen Rates Charles Michel und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen teilnahmen.

Belgien, Bulgarien, Kroatien, Finnland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Polen, Schweden, die Tschechische Republik und Ungarn gehörten zu den Unterzeichnern einer Erklärung, in der die Regulierungsbehörden aufgefordert werden, das Potenzial der Kernenergie voll auszuschöpfen und Finanzierungsbedingungen zu schaffen, die eine Verlängerung der Laufzeit bestehender Kernreaktoren ermöglichen.

Die Staats- und Regierungschefs der EU erklärten, dass die Energiekrise und die Abhängigkeit der EU von ausländischen Brennstoffquellen wichtige Gründe für die Nutzung der Kernenergie seien, neben ihrem "Potenzial zur Dekarbonisierung der Energiesysteme" und der "Bereitstellung von bezahlbarem Strom".

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte, das "erneute Interesse" an der Kernenergie komme zu einem "entscheidenden Zeitpunkt", um die Klimaziele der EU zu erreichen und vor allem "Energiesicherheit und Wettbewerbsfähigkeit" zu gewährleisten.

Mitarbeiter blicken auf die Baustelle des Kernkraftwerks Hinkley Point C in Somerset, England.
Mitarbeiter blicken auf die Baustelle des Kernkraftwerks Hinkley Point C in Somerset, England.Kin Cheung/Copyright 2022 The AP

Wo steht Belgien als Gastgeber des Gipfels?

Bedeutet die Tatsache, dass der belgische Premierminister Alexander De Croo Mitgastgeber des ersten Atomgipfels ist, dass Belgien für die Kernenergie ist? Die Geschichte der Kernenergie in Belgien ist komplizierter als das.

Bereits 1999 wurden Pläne für den Ausstieg aus der Kernenergie vorgestellt, doch seitdem sind die Termine und Fristen ständig im Fluss. 2009 beschloss die belgische Regierung, die Laufzeiten der drei ältesten Kernkraftwerke bis 2025 zu verlängern. Aufgrund der Energiekrise infolge des Krieges in der Ukraine wurde dieser Termin jedoch um weitere 10 Jahre verschoben.

Der Ministerpräsident wies in seiner Eröffnungsrede darauf hin, dass das Land seine Politik von der Schließung von Kraftwerken auf die Verlängerung ihrer Laufzeiten umgestellt habe und dass die Kernenergie Teil des Energiemixes sein müsse, um die Netto-Null-Ziele zu erreichen.

De Croo fügte hinzu, dass die EU die Kernenergie nutzen sollte, um ihre laufenden Investitionen in erneuerbare Energien zu "ergänzen". 

Demonstranten demonstrieren vor dem Atom-gipfel in Brüssel, 21. März 2024.
Demonstranten demonstrieren vor dem Atom-gipfel in Brüssel, 21. März 2024.Kin Cheung/Copyright 2022 The AP. All rights reserved

Frankreich baut Kernkraft aus

Angeführt wird die Allianz von Frankreich, das rund 65 Prozent seines Stroms aus Kernkraft bezieht und ein ein Gesetz zur Beschleunigung des Baus neuer Reaktoren erwägt. 

Ziel ist es, die in Europa installierte Leistung von Kernkraftwerken bis 2050 auf 150 Gigawatt zu steigern - ein Plus von rund 50 Prozent verglichen mit dem Status Quo.

Europa hat mit einer Energiekrise zu kämpfen, ausgelöst durch den Einmarsch Russlands in der Ukraine, und  Präsident Emmanuel Macron bemüht sich um Energieunabhängigkeit. Die Modernisierung der französischen Meiler sei zur Erreichung dieses Ziels unerlässlich.

Mit dem Gesetzentwurf soll das Verfahren für die Genehmigung und den Bau neuer Anlagen gestrafft werden. Außerdem soll die Verpflichtung von Macrons Vorgänger, den Anteil der Kernenergie auf 50 Prozent zu begrenzen, rückgängig gemacht werden.

Der Vorstoß für eine Wiederbelebung der Kernenergie hat jedoch zu Reibereien mit anderen europäischen Ländern wie Deutschland geführt.

Während einige EU-Mitgliedstaaten voll und ganz auf Kernenergie setzen, bestimmen bei anderen Sicherheitsbedenken und eine negative öffentliche Meinung das Bild.  

Insgesamt 12 der 27 EU-Mitgliedsstaaten betreiben Kernkraftwerke, in nur zwei Ländern sind aktuell Atomkraftwerke im Bau, in der Slowakei und in Frankreich, das in den kommenden Jahren sechs Anlagen bauen will. 

Niederlande und Belgien haben ihre ursprünglichen Ausstiegspläne wieder aufgehoben beziehungsweise verschoben. Polen plant den Einstieg in die Atomenergie; man erhofft  sich vor allem eine günstige Energiequelle als Alternative zur Kohle. Bulgarien, Finnland, Rumänien planen weitere Reaktoren, ebenso Schweden. 

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Es ist eine seit langem geführte Debatte ohne klare Antwort. Aber da sich ein Drittel der derzeit in der EU betriebenen Kernreaktoren dem Ende ihrer Lebensdauer im Jahr 2025 nähert, ist die Zukunft dieser Energiequelle für die gesamte EU in der Schwebe.

Wie viel Energie wird in Europa aus Kernenergie gewonnen?

Etwa ein Viertel des europäischen Stroms stammt aus Kernenergie, und mehr als die Hälfte davon wird in Frankreich erzeugt. Insgesamt sind 103 Reaktoren in 13 der 27 Mitgliedstaaten in Betrieb. Im Jahr 2019 lieferten sie etwa 50 Prozent des CO₂-neutralen Stroms..

In der gesamten EU gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Ansichten über die Nutzung der Kernenergie.  Jeder Mitgliedstaat entscheidet selbst, ob er die Kernenergie in seinen Energiemix aufnehmen will. Viele Regierungen müssen über die Zukunft der Kernenergie in ihrem Land entscheiden.

Welche Länder sind gegen die Kernenergie?

Nach dem Störfall in Three Mile Island 1979 und der Katastrophe von Tschernobyl 1986 änderte sich die öffentliche Meinung zur Kernenergie drastisch. In Deutschland gaben Sicherheitsbedenken der Umweltbewegung und den Grünen Auftrieb.

Im Jahr 2002 verabschiedete die Regierung Schröder in Deutschland ein Gesetz, das den Bau neuer Kernkraftwerke verhindern sollte. Auch alle laufenden Reaktoren sollten in Zukunft stillgelegt werden.

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Dies war Teil einer Verlagerung weg von fossilen Brennstoffen hin zu Energiequellen wie Wind und Sonne, die  als wirklich erneuerbar betrachtet werden. Die Kernenergie gilt zwar als "kohlenstoffarm", da Kernreaktoren keine direkten CO2-Emissionen verursachen, ist aber auf Uran als Brennstoff angewiesen, dessen Abbau und Aufbereitung sehr energieintensiv sind.

Im Jahr 2010 kündigte Angela Merkel an, die Laufzeit der deutschen Kernkraftwerke zu verlängern, um die Versorgungsdauer mit kohlenstoffarmer Energie zu erhöhen.

Umweltaktivisten marschieren während einer Kundgebung zum 12. Jahrestag der Atomkatastrophe von Fukushima in Seoul, Südkorea
Umweltaktivisten marschieren während einer Kundgebung zum 12. Jahrestag der Atomkatastrophe von Fukushima in Seoul, SüdkoreaAhn Young-joon/Copyright 2023 The AP. All rights reserved.

Nur ein Jahr später gab der Zwischenfall im japanischen Fukushima erneut Anlass zur Sorge. Monatelang kam es zu massiven Anti-Atomkraft-Protesten im ganzen Land, woraufhin die Regierung Merkel ankündigte, dass alle Kernkraftwerke bis 2022 abgeschaltet werden sollten.

Inzwischen gibt es nur noch drei Kernkraftwerke in Deutschland. Wegen der drohenden Energieunsicherheit durch den Krieg in der Ukraine wurde ihre Laufzeit über diese Frist hinaus verlängert. Im Oktober letzten Jahres erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz, sie würden bis April 2023 in Betrieb bleiben, um eine Energieknappheit zu verhindern.

Nur zwei Länder sind nach Inbetriebnahme von Reaktoren vollständig aus der Kernenergie zur Stromerzeugung ausgestiegen: Italien und Litauen.

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In Italien ist dies ein umstrittenes Thema. Nach einem Referendum über die Kernenergie wurden 1990 alle Kraftwerke des Landes heruntergefahren. Es hat seitdem Versuche gegeben, die Kernenergie in Italien wiederzubeleben - insbesondere im Jahr 2008 mit einem Plan zum Bau von bis zu 10 neuen Reaktoren.

Der Reaktorunfall in Japan im Jahr 2011 hat die öffentliche Meinung erneut ins Wanken gebracht: 94 Prozent der Wähler stimmten kurz darauf in einem Referendum für einen Baustopp.

Die Energiequelle ist auch in anderen Mitgliedstaaten umstritten, darunter Belgien, Portugal, Dänemark und Österreich - eine weitere starke Anti-Atomkraft-Stimme.

Welche Länder stehen an der Spitze der Atomkraftbefürworter?

Frankreich ist in Europa seit langem führend in der Kernenergie und setzt sich für deren Anerkennung als kohlenstoffneutrale Energiequelle ein. Seit den 1980er Jahren ist sie eine der wichtigsten Stromquellen - und hält häufig den Rekord als das Land, das den weltweit höchsten Anteil seiner Energie aus dieser Quelle bezieht.

Im Februar 2023 gehörte das Land zu den 11, die eine Allianz für die Kernenergie in Europa gegründet haben. Gemeinsam unterzeichneten sie eine Erklärung, in der es heißt, die Kernenergie sei "eines von vielen Instrumenten zur Erreichung unserer Klimaziele, zur Erzeugung von Grundlaststrom und zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit".

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Der Gruppe gehören neben Frankreich Bulgarien, Kroatien, Finnland, die Niederlande, Polen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik und Ungarn an. Ziel der Allianz ist es, Forschung, Innovation und "einheitliche Sicherheitsvorschriften" zu fördern und gleichzeitig zu prüfen, wie die Zusammenarbeit zum Bau weiterer Reaktoren führen könnte.

Auch die neue italienische Pro-Atom-Regierung erwägt die Unterzeichnung der Erklärung. Sie wäre ein mächtiger Verbündeter, wenn nach genügend Stimmen für die Verabschiedung wichtiger Gesetze zur Atomenergie gesucht wird. 

Letztendlich entschied sie sich jedoch nicht für eine Abkehr von ihrer seit langem vertretenen Anti-Atom-Position. Andere haben angesichts der Klima- und Energiekrise ihren Standpunkt geändert.

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