Mehr als 200 NGOs warnen Brüssel vor möglichem Gesetz über ausländische Einmischung

Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen spricht während einer Pressekonferenz in der Delegation der EU in China, Peking, 6. April 2023.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen spricht während einer Pressekonferenz in der Delegation der EU in China, Peking, 6. April 2023. Copyright AP Photo/Andy Wong
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Von Alice Tidey
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In einer Erklärung an Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnen die NGOs, dass eine solche Gesetzgebung die Glaubwürdigkeit der EU bei der Verteidigung der Menschenrechte im Ausland beeinträchtigen und repressive Regime ermutigen könnte.

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Eine geplante Richtlinie der Europäischen Union zur Schaffung eines Registers für aus dem Ausland finanzierte Organisationen könnte "unbeabsichtigte Folgen" haben und die Fähigkeit der EU einschränken, Menschenrechtsverteidiger:innen weltweit zu unterstützen, warnten zahlreiche NRO in einer gemeinsamen Erklärung an die Europäische Kommission.

Rund 230 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Transparency International EU, Human Rights Watch und Amnesty International, unterzeichneten die Erklärung, die am Mittwoch an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, geschickt wurde und die Euronews vorliegt. Darin werden die Pläne für ein Gesetz zur „ausländischen Einflussnahme“ scharf kritisiert.

Die EU-Exekutive hat noch keinen entsprechenden Vorschlag veröffentlicht, sich aber in den letzten Monaten mit einem Aufruf zur Einreichung von Einschätzungen an Organisationen der Zivilgesellschaft gewandt.

Laut den von der EU kontaktierten Nichtregierungsorganisationen argumentiert die Kommission, dass ein neues Rechtsinstrument notwendig sei, "um gemeinsame Transparenz- und Rechenschaftsstandards für von außerhalb der EU bezahlte oder gelenkte Interessenvertretungsdienste einzuführen, zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes beizutragen und die demokratische Sphäre der EU vor verdeckter Einmischung von außen zu schützen".

Die NRO warnen jedoch davor, dass dies repressive Machthaber weltweit ermutigen und die Glaubwürdigkeit der EU untergraben könnte, wenn sie sich gegen restriktive Gesetze in Drittländern ausspricht.

Sie weisen darauf hin, dass solche Gesetze, die bereits in anderen Ländern eingeführt wurden, den Raum für eine unabhängige Zivilgesellschaft erheblich beschnitten haben und "als Instrument eingesetzt wurden, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen".

Es ist einfach fahrlässig, dass die Kommission sich weigert, ihre Hausaufgaben zu machen und die wirklichen Risiken vollständig zu bewerten, die diese Art von Gesetzgebung für die Zivilgesellschaft und die Journalisten darstellt.
Nick Aiossa
Transparency International EU

"Es gibt Gründe, warum die Kommission ausländische Agentengesetze im Ausland kritisiert hat und warum sie Ungarn wegen eines ähnlichen Gesetzes verklagt hat", so Nick Aiossa, stellvertretender Direktor von Transparency International EU, in einer Erklärung.

"Es ist einfach leichtsinnig, dass die Kommission sich weigert, ihre Hausaufgaben zu machen und die realen Risiken, die diese Art von Gesetzgebung für die Zivilgesellschaft und für Journalisten darstellt, vollständig zu bewerten", fügte er hinzu.

Bereits Ende vergangenen Monats hatte der deutsche Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky die zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission Věra Jourová während einer Anhörung im Parlament für die Weigerung, eine Folgenabschätzung "aus Zeitgründen" nicht durchzuführen, kritisiert.

Ungarns Einführung eines Gesetzes über ausländische Einmischung im Jahr 2017, das Organisationen, die jährlich mindestens 7,2 Millionen Forint (19.000 Euro) aus ausländischen Quellen erhalten, dazu verpflichtet, sich als solche beim Gericht registrieren zu lassen und einen jährlichen Bericht über ihre ausländische Finanzierung vorzulegen, veranlasste die Kommission, rasch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land einzuleiten.

Der Erste Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans, erklärte damals, dass das Gesetz nicht mit EU-Recht vereinbar sei, was der Gerichtshof der Europäischen Union in einem Urteil vom Juni 2020 denn auch bestätigte.

Kürzlich wurden die Pläne der georgischen Regierung zur Einführung eines solchen Gesetzes über "ausländische Einflussnahme" im März verworfen, nachdem es zu tagelangen, landesweiten Protesten geführt hatte.

EU-Chefdiplomat Josep Borrell bezeichnete das Gesetz nach russischem Vorbild, das alle Organisationen, die mehr als 20 % ihrer Mittel aus dem Ausland beziehen, verpflichtet hätte, sich als "ausländische Agenten" registrieren zu lassen, als eine "sehr schlechte Entwicklung für Georgien und seine Bevölkerung".

In einer Erklärung, die nach der ersten Lesung im georgischen Parlament veröffentlicht wurde, erklärte der Hohe Vertreter, dass das Gesetz in seiner jetzigen Form eine "abschreckende Wirkung auf die Zivilgesellschaft und die Medienorganisationen" haben könnte, dass es "mit den Werten und Normen der EU unvereinbar" sei und daher "ernsthafte Auswirkungen" auf die Beziehungen zwischen der EU und Georgien haben könnte.

In ihrem Schreiben an von der Leyen verlangen die NGOs, dass die Europäische Kommission eine Folgenabschätzung durchführt, bevor sie einen Vorschlag für ein EU-Gesetz zur Einmischung ins Ausland veröffentlicht. Diese Folgenabschätzungen sind erforderlich, wenn die Kommission eine Rechtsvorschrift vorlegen will, die erhebliche wirtschaftliche, soziale oder ökologische Auswirkungen haben könnte.

Sie forderten die Kommission außerdem auf, die rechtlichen Argumente für dieses Gesetz klar darzulegen, da in der Aufforderung zur Einreichung von Einschätzungen "der spezifische Bedarf, den die neue Gesetzgebung abdecken würde, und die Gründe, warum eine EU-Richtlinie ein notwendiges oder geeignetes Instrument ist, nicht genannt werden".

Hintergrund der Kommissionsinitiative ist jedoch auch der jüngste Korruptionsskandal im Europäischen Parlament, bei dem zwei europäische NGOs gegen klandestine Bezahlung die Interessen ausländischer Regierungen vertreten haben sollen.

Ein Kommissionssprecher reagierte am frühen Mittwoch Nachmittag mit der folgenden E-Mail auf unsere Bitte um Stellungnahme:

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"Die Europäische Kommission bereitet derzeit ein Paket zum Schutz der Demokratie vor. Es wird eine konkrete Gesetzesinitiative […] beinhalten, in der Transparenzverpflichtungen für Aktivitäten auferlegt werden, die darauf abzielen, die öffentliche Entscheidungsfindung und die demokratische Debatte in der EU zu beeinflussen, und die von Einrichtungen durchgeführt werden, die von Drittländern finanziert werden oder Verbindungen zu diesen haben.

In Anbetracht der Aktionen des Kremls und anderer Akteure aus Drittländern sollten wir nicht naiv sein. Es ist höchste Zeit, verdeckte ausländische Einflussnahme und fragwürdige Finanzierung ans Licht zu bringen.

Ich kann mich zwar nicht im Detail zu künftigen Vorschlägen äußern, aber lassen Sie uns eines klarstellen: Bei dem anstehenden Vorschlag geht es nicht um die Einschränkung von Aktivitäten, sondern ausschließlich um gemeinsame Transparenzstandards für Interessenvertretungsdienste. Dieser Vorschlag ist nur eines der Elemente des kommenden Pakets. Es wird auch darauf abzielen, eine breite und sinnvolle Beteiligung der Zivilgesellschaft und der Bürger:innen zu fördern, um den demokratischen Raum widerstandsfähiger zu machen.“

Journalist • Andreas Rogal

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