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Europa drückt Harris die Daumen, weil es ein Comeback von Trump befürchtet

Die Europäische Kommission hat eine Task Force eingerichtet, die mögliche Szenarien für die Zeit nach den Wahlen untersuchen soll.
Die Europäische Kommission hat eine Task Force eingerichtet, die mögliche Szenarien für die Zeit nach den Wahlen untersuchen soll. Copyright  Jean-Francois Badias/Copyright 2024 The AP. All rights reserved
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Von Jorge Liboreiro & Heilika Leinus (Übersetzung)
Zuerst veröffentlicht am
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Während die US-Wähler zu den Urnen gehen, drückt Europa Kamala Harris die Daumen, da viele ein Comeback von Donald Trump befürchten.

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Viele in Europa halten den Atem an, während sie beobachten, wie die US-Wähler zu den Urnen gehen, um ihren nächsten Präsidenten zu wählen.

Seit Jahrzehnten wird das alle vier Jahre stattfindende Ritual auf der anderen Seite des Atlantiks mit Interesse, Spannung und sogar einem gewissen Grad an Respekt verfolgt. Immerhin sind die Vereinigten Staaten die älteste Demokratie der Welt und Europas wichtigster Sicherheitsgarant. Das gewährt dem Weißen Haus Einfluss auf die politische Zukunft des Alten Kontinents.

Doch diese Neugierde hat sich in Besorgnis und in einigen Fällen in regelrechte Angst verwandelt.

Europa erlebt einen erbitterten Kampf zwischen Kamala Harris und Donald Trump. Die Kandidatin der Demokraten setzt sich für das altehrwürdige transatlantische Bündnis ein und bietet Diktatoren die Stirn. Trump, der Kandidat der Republikaner, bezeichnet Wolodymyr Selenskyj als "den größten Händler" und prahlt damit, dass er Russland "ermutigen" würde, mit Ländern, die das Zwei-Prozent-Ziel der NATO nicht erreichen, "zu tun, was sie wollen".

Den meisten Europäern fällt es nicht schwer zu entscheiden, für wen sie sind. Eine kürzlich durchgeführte YouGov-Umfrage in sieben europäischen Ländern ergab eine überwältigende Präferenz für Harris, auch unter den Anhängern der französischen rechtspopulistischen Politikerin Marine Le Pen. Der ungarische Regierungschef Viktor Orbán hingegen hat "mehrere Flaschen Champagner" aufbewahrt, um einen Sieg von Trump zu feiern.

In Brüssel herrschte bis vor kurzem vorsichtiger Optimismus. Harris, die nach dem Rückzug Joe Bidens aus dem US-Präsidentschaftsrennen als Kandidatin der Demokraten nachrückte, hatte sich schnell einen bescheidenen, aber soliden Vorsprung in den meisten umkämpften Staaten gesichert.

Anfangs lief es gut für Harris und ihre Stellvertreter: Sie nutzten Memes aus der Popkultur, füllten Stadien mit Prominenten und lehnten die Republikaner mit einem Augenzwinkern als "seltsam" ab. Im September wurde ihre Leistung in der Debatte allgemein gelobt und machte sie zur Favoritin der Buchmacher. Sie wollten, dass sie das Rennen um das Amt des 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewinnt.

Dann änderten sich die Dinge, der Eifer verflog und der Ton wurde rauer. Statt "seltsam" nannte Harris ihren Wettbewerber Trump nun einen "Faschisten".

Zu Beginn des Wahltages stehen die USA vor einer schwierigen Wahl, dessen Ergebnis Europa in Mitleidenschaft ziehen könnte.

Unentschiedener Kampf zwischen Harris und Trump

Harris und Trump liegen in den sieben Swing States praktisch gleichauf. Die prozentualen Unterschiede zwischen den Kandidaten in Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, North Carolina, Georgia, Arizona und Nevada liegen alle innerhalb der Fehlermarge. Meinungsforscher sagen, dass sie so etwas in der jüngeren Vergangenheit noch nie gesehen haben.

Harris' sicherster Weg ins Weiße Haus war schon immer die so genannte "Blaue Wand", bestehend aus Pennsylvania (19 Stimmen der Wahlmänner), Michigan (15 Stimmen) und Wisconsin (10 Stimmen). In diesen drei Bundesstaaten kann die Demokratin insgesamt 270 Stimmen erreichen, das absolute Minimum für einen landesweiten Sieg.

Doch ihr bescheidener Vorsprung in der "Blauen Wand", der seit ihrem Einstieg ins Rennen konstant war, ist einfach verschwunden. Das gibt Trump eine realistische Chance, in dieser nördlichen Region zu gewinnen, wie er es 2016 unerwartet getan hat.

Am Wochenende kam jedoch der Paukenschlag: Eine viel beachtete Umfrage sah Harris in Iowa, einem Bundesstaat, der seit Obamas Kandidatur 2012 nicht mehr demokratisch gewählt hat, drei Punkte vorn. Einen Tag später zeigte die letzte Umfrage der New York Times, dass Harris in North Carolina mit zwei Punkten und in Georgia mit nur einem Punkt in Führung lag, während Trump in Arizona deutlich gewann.

"Harris und Trump kämpfen bis zum Schluss", titelte die Zeitung und warnte, dass "keiner der beiden Kandidaten einen eindeutigen Vorsprung" in den umkämpften Staaten habe.

Mit anderen Worten: Alles ist möglich, und die schiere Unvorhersehbarkeit trägt zu den Bedenken bei.

Ursula von der Leyen und Joe Biden haben eng zusammengearbeitet.
Ursula von der Leyen und Joe Biden haben eng zusammengearbeitet. Evan Vucci/Copyright 2023 The AP. Alle Rechte vorbehalten.

Luxus der Bequemlichkeit

Die Aussicht, mit Trump einen Mann im Weißen Haus zu haben, dessen Abneigung gegen das multilaterale System der internationalen Beziehungen hinlänglich bekannt ist, bereitet den Beamten und Diplomaten in Brüssel Kopfschmerzen. Sie befürchten, dass der umtriebige Milliardär ein Auge auf Wladimir Putins Expansionsdrang zudrücken, wahllos Zölle auf alle möglichen Einfuhren erheben und das Klimaabkommen von Paris erneut kündigen und damit zu Fall bringen wird. Und das wäre nur der Anfang.

Aber es gibt noch einen tieferen Grund für die Ängste. Im Gefolge der ersten Trump-Präsidentschaft begann die EU, über "strategische Autonomie" zu sprechen. Mit diesem theoretischen Ansatz wollten die EU-Länder sicherstellen, dass die EU gegen die gegen die Launen des US-Präsidenten abgesichert wäre.

Die Idee, die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron vehement gefördert wurde, gewann allmählich Anhänger, wurde zum Mainstream und inspirierte neue politische Maßnahmen. So arbeitet die EU zum Beispiel daran, einheimische grüne Technologien zu fördern, Investitionen in Halbleiter anzuziehen und gegen Chinas marktverzerrende Praktiken vorzugehen.

Insgesamt ist die Bilanz jedoch nicht zufriedenstellend. Die EU hängt nach wie vor stark von den weltweiten Entwicklungen ab, sei es in den Bereichen Handel, Energie, Technologie, Klimaschutz oder Sicherheit.

Bei allem Gerede über eine sich entwickelnde "multipolare Welt" spielen die USA immer noch eine übergeordnete Rolle in dieser Dynamik und können im Alleingang bestimmen, wie das Pendel ausschlägt, indem sie Wohlstand in einige Ecken bringen und in anderen verheerenden Schaden anrichten.

In keinem anderen Bereich ist diese Abhängigkeit so deutlich spürbar wie bei den westlichen Bemühungen, die Ukraine gegen Russland zu unterstützen. Seit Beginn des russischen Angriffkrieges in der Ukraine sind die USA Kiews Hauptlieferant für moderne Waffen wie ATACMS-Langstreckenraketen, die das Land dank seines konkurrenzlosen Verteidigungssektors liefern kann.

Allein der Gedanke, dass Washington sich aus der Einheitsfront zurückziehen und die EU in einem Wettlauf um die Schließung der enormen Lücke zurücklassen könnte, jagt Brüssel einen Schauer über den Rücken.

"Die einfache Wahrheit ist: Wir haben nicht den Luxus der Bequemlichkeit. Wir haben nicht die Kontrolle über Wahlen oder Entscheidungen in anderen Teilen der Welt", sagte Ursula von der Leyen am Anfang des Jahres, als ein Hilfspaket für die Ukraine in Höhe von 60 Milliarden Dollar (rund 55,4 Milliarden Euro) im US-Kongress feststeckte.

Von der Leyen, die sich für enge Beziehungen zwischen der EU und den USA einsetzt, hat sich für ihre zweite Amtszeit ehrgeizige Ziele gesetzt, die durch eine störende Trump-Präsidentschaft stark beeinträchtigt werden könnten.

Bereit für jedes Ergebnis

Es steht so viel auf dem Spiel, dass die Europäische Kommission eine spezielle Arbeitsgruppe eingerichtet hat, um sich auf mögliche Szenarien nach dem 5. November vorzubereiten.

"Unsere Aufgabe ist es, auf jedes Ergebnis der Wahl in den Vereinigten Staaten vorbereitet zu sein", sagte ein Sprecher der Kommission am Montag.

Obwohl ein Sieg von Harris die europäischen Hauptstädte (mit Ausnahme von Budapest) laut aufatmen lassen würde, hat auch die Demokratin kein besonders großes Interesse an Europa gezeigt, abgesehen von ihrem allgemeinen Ziel, die Demorkatien gegenüber den autoritären Regimen zusammenzuhalten.

In den vergangenen Jahren hat sich die amerikanische Politik zunehmend nach innen gewandt und ist egozentrisch geworden: Außenpolitik wird kaum noch thematisiert, und wenn, dann geht es vor allem um Russland, China oder den Nahen Osten.

Auch wenn die Agenda von Joe Biden zu Hause viele Kritiker hat, wird sein diplomatisches Engagement im Ausland gelobt. Biden, ein Mann der alten Schule, ist stolz darauf, den Westen gegen den Kreml zu untestützen. Er hat einen unerschütterlichen Glauben an das transatlantische Bündnis, mit dem die ihm folgende Generation von Politikern wie Harris und Obama nicht aufgewachsen sind.

Der veränderte Fokus des Washingtons hat eine unbequeme Frage aufgeworfen: Interessiert sich überhaupt jemand für Europa? Für viele lautet die Antwort, dass sich nur die Europäer selbst für Europa interessieren, wenn überhaupt jemand.

"Harris oder Trump? Einige behaupten, dass die Zukunft Europas von der Wahl in den USA abhängt, während sie in erster Linie von uns abhängt. Unter der Bedingung, dass Europa endlich erwachsen wird und an seine eigene Stärke glaubt", schrieb Polens Ministerpräsident Donald Tusk in sozialen Medien. "Wie auch immer das Ergebnis ausfällt, die Zeit des geopolitischen Outsourcings ist vorbei."

Eine frühe Version dieses Artikels wurde in The Briefing, dem wöchentlichen politischen Newsletter von Euronews, veröffentlicht. Klicken Sie hier, um ihn zu abonnieren.

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