Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) verschärft die Maßnahmen an den Grenzen. Schafft Deutschland die "Migrationswende"? Euronews-Journalistin Zara Riffler ist den wichtigsten Fragen genauer nachgegangen. Flüchtlingshelfer halten die Maßnahmen fast schon für zu spät.
Die Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) möchte einen neuen Kurs in der Migrationspolitik einschlagen. Die unkontrollierte Migration nach Deutschland soll gestoppt werden. Die heutige CDU-Regierung möchte mit der Flüchtlingspolitik von der ehemaligen CDU-Kanzlerin Angela Merkel brechen.
Merz' Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) leitete dafür den Weg ein. An allen Landgrenzen ordnete er nur einen Tag nach seinen Amtsantritt verstärkte Grenzkontrollen und Zurückweisungen an. Erstmals betrifft dies auch Menschen, die an der Grenze sich auf Asyl berufen.
„Es muss klar sein: Man kommt nicht automatisch, wenn man an der Grenze Deutschlands steht, in unser Land“, machte Dobrindt an der deutsch-österreichischen Grenze am Donnerstag deutlich.
Während der CSU-Innenminister bereits erste leichte Erfolgszahlen an Zurückweisungen von illegalen Einreisen präsentierte, sind die Nachbarstaaten von den neuen Grenzmaßnahmen nicht erfreut. Besonders die linken Oppositionsparteien sind skeptisch, sehen es rechtlich und europapolitisch fragwürdig.
Schafft Merz eine sogenannte Migrationswende?
Unklar ist, ob und wie lange Nachbarstaaten wie Polen mehr irreguläre Migranten, die nach Deutschland wollen, von den deutschen Grenzbeamten annehmen werden. Kommt etwa erneut ein Dublin-Protest auf Deutschland zu, wie es bereits Italien tat?
Schon jetzt ist klar: Deutschland kann nicht lückenlos seine Grenzen sichern. Wie lange wird also die politische Grenzsymbolik in die Welt ausreichen, bevor die nächsten Schleusergruppen sich erneut auf dem Weg machen?
Und: Reicht es aus, die Grenzen zu schließen, für einen Stopp der Migrationskrise? Das Land kämpft mit überforderten Kommunen, die Löcher in ihre Haushalte haben. Die Sozialsysteme sind überlastet. Freier Wohnraum wird seltener. Zudem bröckelt seit der unkontrollierten Migration auch noch die innere Sicherheit. Messerattentate und Islamismus machen Schlagzeilen. Viele Menschen, die nach Deutschland aus dem Nahen Osten flohen, fühlen sich heute weniger hier sicher.
Hilfswerk-Sprecher: "Der Einreisestopp ist richtig"
Flüchtlingshelfer und Arche-Sprecher Wolfgang Büscher findet die neuen Maßnahmen an den deutschen Grenzen richtig. „Wir brauchen einen Einreisestopp nach Deutschland. Wir sollen nur noch die reinlassen, die wirklich politische Flüchtlinge sind.“
Integration sei schon sehr lange nicht mehr in diesem Umfang möglich. "Wir müssen erstmal die hunderttausenden Menschen integrieren, die in den letzten zehn Jahren nach Deutschland kamen", betont Büscher zu Euronews.
"Wir haben es vielfach mit Zwangsehen zu tun. Wir kriegen Drohungen von Islamisten"
Seit 20 Jahren kämpft Wolfgang Büscher für die Integration tausender Kinder. Seine Arche-Schützlinge wurden schon Bundespolizisten, Football-Profis, Sozialarbeiter und Pfleger. Doch bei seinen Einrichtungen, wo Integration gelingt, mehren sich die Probleme.
Büscher erzählt, dass junge Mädchen schon mit einem Kopftuch in die Kindereinrichtungen kommen. "Vielfach haben wir es mit Zwangsehen zu tun." Die Mädchen versuchen bei den Arche-Mitarbeitern Hilfe und Schutzräume zu erhalten. Auch, weil sie zuhause geschlagen werden.
Weil die Arche sich für die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund stark einsetze, würden Islamisten Drohungen an die Hauswände der Arche-Einrichtungen mittlerweile malen. "Es sind Todesdrohungen gegen unsere Mitarbeiter". Auch Clan-Chefs in Berlin würden versuchen, Arche-Jugendliche gezielt anzuwerben.
Büscher selbst hält es fast schon für zu spät, dass innerhalb Deutschland etwas politisch an den Zuständen eines wachsenden Islamismus geändert werden könnte. "Wir werden diese Probleme in Deutschland insgesamt nicht mehr lösen können." Es sind "insgesamt Hunderttausende solcher Menschen" die bereits im Land seien.
"Wenn ich viele Menschen hole und keine Zeit und kein Personal habe, dann fordern am Ende viele eben die Scharia. Die sagen dann 'Wir kriegen so viele Kinder, bis wir irgendwann die Mehrheit haben'", so Büscher. Kinder aus Familien mit radikalem Hintergrund seien so nur schwer bis unmöglich zu integrieren.
Polizeigewerkschaftler: "War jetzt der richtige Zeitpunkt, diese Bremse da reinzuhauen"
Zehn Jahre nach der Flüchtlingskrise 2015 kämpft Deutschland mit großen Herausforderungen. Die illegale Einwanderung führte, wie die Statistiken zeigen, zu mehr Gewalttaten. Das erklärt Polizeigewerkschafter Heiko Tegggatz.
Was also, wenn die Merz-Regierung – 10 Jahre später – keine neue Migrationspolitik einschlagen würde? Erst in vier Jahren eine politische Wende, also auch bei einem Zeitpunkt einer neu gewählten Regierung, wäre sicherheitspolitisch zu spät, meint Teggatz.
Der Chef der Bundespolizeigewerkschaft sagt im Gespräch mit Euronews: "Wenn die Statistiken, wie in den letzten Jahren erkennbar ist, kontinuierlich steigen, gerade im Phänomen der Gewaltdelikte, kann ich das ja in die Zukunft fortsetzen – und dann wird uns spätestens in drei, vier Jahren hier himmelangst werden. Insofern war das jetzt der richtige Zeitpunkt, diese Bremse da reinzuhauen."
SPD-Landrat: "Es ist jetzt an der Zeit Abschiebeflüge zu organisieren"
Auch Landrat Matthias Jendricke aus Nordhausen in Thüringen begrüßt die neuen Grenzmaßnahmen. Zu Euronews erklärt der Sozialdemokrat, es sei jetzt nur folgerichtig, wenn seine SPD wieder "konservativer" wäre.
"Ich bin an der Stelle ganz entschlossen, die Menschen, die hier auffällig werden durch wiederholte Straftaten, müssen das Land wieder verlassen", betont er.
"Es bräuchte monatlich Abschiebeflüge, darunter auch nach Afghanistan. "Es ist jetzt an der Zeit Flüge zu organisieren." Dies sei man auch den Menschen schuldig, welche nach Deutschland eingewandert und mehrheitlich angekommen sind. "Das Gefühl der inneren Sicherheit, das verloren gegangen ist", müsse man nun zurückholen.
"Menschen, die zurückgewiesen werden, werden es einfach nochmal versuchen"
Etwas anders sieht das die politischlinke Opposition in Deutschland. Die Partei die Grünen fürchten, dass ein möglicher Konflikt mit den Nachbarstaaten zu einem Chaos in Europa führe. Alle geltenden Regeln kämen durcheinander. Es bräuchte keine nationalen Alleingänge.
Tatsächlich hatte Polen vor wenigen Tagen zwei Migranten nicht zurückgenommen bei einer sogenannten Zurückschiebung der deutschen Behörden. Die zwei Asylbewerber waren bereits über Polen nach Deutschland eingereist und sind von den Beamten nach dem Übertritt aufgegriffen worden.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnente Chantal Kopf erklärt gegenüber Euronews: "Man sieht gerade, dass sich massiver Protest herrscht in unseren Nachbarländern. Das deutlich gemacht wird, man werde die Menschen nicht zurücknehmen, wenn Deutschland sich nicht an die Dublin-Regeln hält".
Menschen mit beispielsweise terroristischen Absichten würden ohnehin einen Weg nach Deutschland finden. "Es ist davon auszugehen, dass Menschen, die zurückgewiesen werden, es einfach nochmal versuchen", meint die Europa-Sprecherin der Grünen weiter.