Das sind die 4 wichtigsten Ergebnisse der Wahl in Portugal

Portugals Ministerpräsident Antonio Costa in Lissabon am 30. Januar 2022
Portugals Ministerpräsident Antonio Costa in Lissabon am 30. Januar 2022 Copyright Armando Franca/Copyright 2022 The Associated Press. All rights reserved
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Von Euronews mit dpa, afp, AP
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Es scheint gleichzeitig den Wunsch nach Veränderung zu geben und die Angst, sich von der Mitte wegzubewegen, beurteilt der politische Analyst Miguel Szymanski das Wahlergebnis in Portugal.

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Die regierende Sozialistische Partei (PS) von Ministerpräsident António Costa hat die Parlamentswahl in Portugal gewonnen. Die PS wird mit knapp 42 Prozent stärkste politische Kraft vor der Sozialdemokratischen Partei (PSD) von Rui Rio, die auf knapp 28 Prozent kommt.

1. Sozialisten werden stärkste Kraft, aber kann Costa alleine regieren?

Mit diesem Ergebnis könnten die Sozialisten sogar auf eine absolute Mehrheit im Parlament hoffen. Doch ob es für eine Mehrheit reicht, ist auch nach 99 Prozent der ausgezählten Stimmen noch nicht klar. Verfehlt er die Mehrheit wäre der 60 Jahre alte Costa wohl wieder auf die Unterstützung kleinerer linker Parteien angewiesen und müsste erneut eine Minderheitsregierung anstreben.

"Und wenn es keine absolute Mehrheit gibt, haben PS und PSD immer noch viele Gemeinsamkeiten, sie liegen in der politischen Mitte und sie werden regelmäßig Kompromisse eingehen müssen", meint der politische Analyst und portugiesische Journalist Miguel Szymanski, der die Wahl in Lissabon für Euronews kommentiert.

"Es ist wichtig zu verstehen, dass die PS trotz ihres Namens keine sozialistische, sondern eine sozialdemokratische Partei ist, und die PSD ist eine Partei, die einen sehr sichtbaren liberal-konservativen Flügel hat, aber auch einen starken sozialdemokratischen", so Szymanski.

Es scheint gleichzeitig den Wunsch nach Veränderung zu geben und die Angst, sich von der Mitte wegzubewegen.
Miguel Szymanski, Politik-Analyst und Journalist

"Es scheint gleichzeitig den Wunsch nach Veränderung zu geben und die Angst, sich von der Mitte wegzubewegen, da die drei kleineren, traditionellen Parteien wie die Kommunisten (PCP), der Linksblock (BE) und der CDS von den Wählern abgestraft wurden, während neue Parteien wie Chega und Iniciativa Liberal (IL) mehr Stimmen erhielten als vor vier Jahren", so Szymanski.

Im Wahlkampf trat Costa für eine Fortsetzung seiner bisherigen Politik an: Er will die Wirtschaft weiter fördern, die sozialen Ungleichheiten reduzieren - und gleichzeitig die öffentlichen Finanzen stabilisieren. Eine große Koalition oder auch eine weitreichende Zusammenarbeit mit der konservativ orientierten Sozialdemokratischen Partei (PSD) von Spitzenkandidat Rui Rio gilt als sehr unwahrscheinlich. Costas PS und Rios PSD sind die beiden großen Traditionsparteien in Portugal.

2. Höhste Wahlbeteiligung seit 13 Jahren

Mit 57 Prozent war die Wahlbeteiligung höher als im Jahr 2019 mit 53 Prozent und auch bei den vier Parlamentswahlen in den vergangenen 13 Jahren. Und das, obwohl ein Zehntel der Wählerschaft wegen der COVID-19-Pandemie unter Quarantäne steht.

Aufgrund der schwierigen Pandemiebedingungen war eine vorzeitige Stimmabgabe schon am vergangenen Sonntag möglich.

Anfang dieses Monats hatte die Regierung entschieden, dass Wähler:innen, die unter Quarantäne stehen, ihre örtlichen Wahllokale besuchen dürfen, forderte sie jedoch auf, dies während der letzten Öffnungsstunde des Tages zu tun.

Nach Angaben der portugiesischen Generaldirektion für Gesundheit befanden sich am Vortrag der Parlamentswahlen mehr als eine Million Portugies:innen, nämlich 1.203.011, in Isolation, darunter 591.969 Personen mit einer aktiven COVID-19-Infektion. 611.042 Personen sind Risikokontakte und stehen unter Überwachung.

3. Die Rechtsextremen werden drittstärkste Partei

Die rechtspopulistische Chega! - zu Deutsch "Es reicht!" - erreicht sieben Prozent der Stimmen und wird drittstärkste politische Kraft im Land. Bereits in den Umfragen wurde der Partei ein Stimmenanteil von sechs Prozent vorausgesagt.

Nach der Wahl 2019 war die umstrittene Partei mit 1,35 % der Stimmen und ihrem einzigen Abgeordneten, ihrem Vorsitzenden André Ventura, ins Parlament eingezogen (In Portugal gibt es keine Prozenthürde für den Einzug ins Nationalparlament). Zusammen mit den Liberalen - beide Parteien wurden im Jahr 2019 gegründet - bilden sie die "neue Rechte" in Portugal.

"Die Chega, eine fremdenfeindliche Partei, die von einem Rechtspopulisten angeführt wird, wird die wichtigste Oppositionspartei in Portugal sein, wenn PS und PSD gemeinsam über ein Gesetz abstimmen", so der politische Analyst Miguel Szymanski.

Chega-Chef André Ventura freute sich über den Wahlsieg seiner "Anti-System"-Partei. Man habe zahlreiche neue Wähler erreicht, das sei ein Triumph. Costa wolle er "heimsuchen", so Ventura in der Wahlnacht.

Als Verbündeter der Französin Marine Le Pen und des Italieners Matteo Salvini steht André Ventura, ein 39-jähriger ehemaliger Steuerinspektor, auch den Spaniern der rechtspopulistischen VOX nahe.

4. Zusammenbruch des Linksblocks

Der "Bloco de Esquerda" (B.E.), 2019 mit fast sieben Prozent noch die drittstärkste politische Kraft, ist auf den fünften Platz abgerutscht, hinter die Koalition aus Kommunisten und Grünen.

Die beiden linken Parteien B.E. und PCP wurden von den Wähler:innen offenbar dafür bestraft, dass sie die Sozialdemokraten in der Haushaltskrise im Stich gelassen haben, meint Analyst Miguel Szymanski.

"Die Strategie der Sozialistischen Partei, die die vorgezogenen Neuwahlen ausgelöst hat, scheint aufgegangen zu sein. Die beiden linken Parteien wurden abgestraft und die wichtigste Oppositionspartei PSD hat nicht davon profitiert."

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Im Herbst war die Zusammenarbeit von Costas Minderheitsregierung gescheitert, nachdem der marxistische Linksblock (B.E.), die Kommunisten (PCP) und die Grünen (PEV) im Parlament zusammen mit der konservativen Opposition Costas Haushaltsentwurf für 2022 ablehnten. Präsident Marcelo Rebelo de Sousa rief daraufhin Anfang November Neuwahlen aus.

Es ging nur um das richtige Timing, um der prekären Lage zu entkommen, in der sich Costas Minderheitsregierung befand.
Miguel Szymanski, Politik-Analyst und Journalist

"Als das Haushaltsgesetz der Minderheitsregierung vor drei Monaten im Parlament von den Parteien der extremen Linken, der Rechten und der extremen Rechten abgelehnt wurde, war dies die perfekte Gelegenheit für den Ministerpräsidenten", so Miguel Szymanski.

Die einstigen Verbündeten hatten mit Blick auf die milliardenschweren Corona-Hilfen der EU von der sozialistischen Regierung mehr Sozialausgaben im Etat 2022 gefordert. Costa aber wollte seine zurückhaltende Ausgabenpolitik nicht aufgeben.

"Einer der Hauptgründe für die vorgezogenen Neuwahlen waren die vielen EU-Milliarden, die in den nächsten Jahren ausgegeben werden sollen, und die Regierung möchte die Kontrolle über diese Geldquelle behalten. Weder der Ministerpräsident noch der Präsident wollten, dass die linksextremen Parteien ein gewichtiges Wort mitreden, wenn es darum geht, wie das Geld aus Brüssel ausgegeben wird", so Analyst und Journalist Miguel Szymanski in Lissabon.

Costa führte seit Ende 2015 zwei Minderheitsregierungen, die von kleineren linken Parteien wie dem marxistischen Linksblock (BE), den Kommunisten (PCP) und den Grünen (PEV) unterstützt wurden. Ein formelles Koalitionsabkommen gab es aber nicht.

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