Newsletter Newsletters Events Veranstaltungen Podcasts Videos Africanews
Loader
Finden Sie uns
Werbung

Streit um Wehrdienst: Wie viel Zwang braucht die Bundeswehr?

Neue Rekruten der Bundeswehr am 4. September 2025 an einer Vereidigungszeremonie vor dem Landtag von Nordrhein-Westfalen
Neue Rekruten der Bundeswehr am 4. September 2025 an einer Vereidigungszeremonie vor dem Landtag von Nordrhein-Westfalen Copyright  AP Photo/Martin Meissner
Copyright AP Photo/Martin Meissner
Von Johanna Urbancik
Zuerst veröffentlicht am Zuletzt aktualisiert
Teilen Kommentare
Teilen Close Button

Die Regierung steht wohl kurz vor einer Einigung zum neuen freiwilligen Wehrdienstmodell, doch SPD und Union streiten noch über Details. Pistorius setzt auf Freiwilligkeit, die Union fordert einen Pflichtdienst. Wie geht es nun weiter?

Noch diese Woche könnte die Regierung eine Lösung beim Wehrdienstmodell vorstellen. Das kündigte Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Truppenbesuch in Münster am Montag an. "Manchmal braucht das einfach ein bisschen Zeit und nicht alles, was als Riesenstreit dargestellt wird, ist es am Ende auch", so der SPD-Politiker.

Auch laut Thomas Röwekamp (CDU), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, stünden dem endgültigem Modell nur noch Detailfragen im Weg. Er ist ebenfalls der Überzeugung, dass eine Einigung noch diese Woche zustande kommen wird.

Ob der Wehrdienst am 70. Jahrestag der Bundeswehr am 12. November oder noch vor dem Koalitionsausschuss bekanntgegeben wird, ist unklar. Laut Röwekamp gebe es noch einige "ungelöste Fragen".

Warum gab es Streit bei der Wehrdienstdebatte?

Dem Gesetzesentwurf zum "Neuen Wehrdienst" zufolge sieht das Verteidigungsministerium vor, im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung langfristig den Verteidigungsumfang auf rund 460.000 Soldaten einschließlich der Reserve zu vergrößern.

Davon soll der Anteil der aktiven Soldaten etwa bei 260.000 liegen. Diese Zielmarke umfasst laut Verteidigungsministerium rund 200.000 Reservisten und orientiert sich am Zeithorizont 2035.

Wenn es um den Wehrdienst geht, betont Pistorius jedoch immer wieder, dass die Truppe über einen freiwilligen Dienst gestärkt werden müsse, denn "das ist der Konsens im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD."

Trotz der klaren Ansage des Ministers entzweit die geplante Wehrdienstreform die aktuelle Koalition jedoch. So setzt Pistorius auf einen freiwilligen, attraktiven Wehrdienst – basierend auf dem schwedischen Modell – der durch eine flächendeckende Musterung junger Männer unterstützt wird.

Eine verpflichtende Einberufung soll demnach nur dann erfolgen, wenn die Freiwilligkeit nicht ausreicht. Die SPD will die Bundeswehr in diesem Kontext durch ein "riesiges Paket zur Attraktivitätssteigerung" modernisieren.

Die Union hingegen bevorzugte bis vor kurzem noch ein Zufallsprinzip, also das Losverfahren, um mögliche Engpässe bei der Rekrutierung abzufedern. Pistorius lehnt das ab und setzt stattdessen auf eine Auswahl nach körperlicher Eignung und fachlichen Fähigkeiten.

Auch beim Personalaufbau gehen die Meinungen auseinander: Die Union fordert konkrete Zielmarken für den Truppenaufwuchs, um den Bedarf zu decken. Die SPD will dagegen zunächst auch hier auf Freiwilligkeit und Attraktivitätssteigerung setzen und den Wachstum der Truppe somit flexibler gestalten.

Quentin Gärtner, Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, kritisiert in seiner schriftlichen Stellungnahme, dass das Prinzip der Freiwilligkeit nur funktionieren kann, wenn junge Menschen davon überzeugt sind, dass sie einen relevanten Beitrag leisten und im Sinne einer demokratischen Willensbildung an den Prozessen beteiligt sind, die sie betreffen.

"Diese Beteiligung ist im Prozess der Erarbeitung des Gesetzentwurfs seitens des Bundesverteidigungsministeriums nicht erfolgt", so Gärtner.

"Weiteres Dokument des Zögerns"

Der als Sachverständiger geladene Militärhistoriker Sönke Neitzel warnte in der Anhörung des Verteidigungsausschusses am 10. November, der freiwillige Ansatz allein werde kaum genügen, um die angestrebte Personalstärke der Bundeswehr zu sichern.

Zwar sei der Gesetzesentwurf zweifellos ein "Schritt in die richtige Richtung, um die Bundeswehr kriegstüchtig zu machen", so Neitzel. Auch befürworte er die vorgesehene generelle Musterung ab Sommer 2027, doch sei der Gesetzesentwurf zugleich ein "halbherziger Beleg der deutschen Sicherheitspolitik der letzten dreieinhalb Jahre". "Es ist meines Erachtens ein weiteres Dokument des Zögerns und Zauderns", erklärt der Militärhistoriker.

"Für einen raschen personellen Aufwuchs der Bundeswehr wäre die Einführung einer Auswahlwehrpflicht zwingend notwendig", so Neitzel. Er räumte jedoch ein, dass das politisch derzeit nicht durchsetzbar erscheine, weswegen das Verteidigungsministerium davon ausgehe, den Aufwuchs über die Freiwilligkeit erreichen zu können.

In seiner schriftlichen Stellungnahme wies Neitzel zudem auf die strategische Bedrohung hin: Laut Äußerungen der Bundesregierung könnte Russland in wenigen Jahren die NATO angreifen. "Das Verteidigungsministerium glaubt, einen Aufwuchs auf freiwilliger Basis bis 2035 zu erreichen. Das bedeutet, dass man sich im Schnitt einen Aufwuchs von 8.000 Mann pro Jahr zum Ziel setzt". Er fügte hinzu: "Wäre die Bundeswehr bei ihrer Aufstellung im Kalten Krieg in dieser Geschwindigkeit gewachsen, hätte der Aufbau 60 Jahre gedauert".

Pistorius geht davon aus, dass zwischen 60.000 und 100.000 zusätzliche Soldaten benötigt werden, um die NATO-Vorgaben zu erfüllen und die Truppe kriegstüchtig zu machen.

Obwohl es noch keine Lösung gibt, soll das Gesetz ab dem 1. Januar 2026 in Kraft treten. Die verpflichtende Musterung aller jungen Männer soll ab Juli 2027 beziehungsweise 2028 erfolgen.

Zu den Barrierefreiheitskürzeln springen
Teilen Kommentare