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"Veraltet!"- Enrico Letta drängt auf radikale Umgestaltung des EU-Binnenmarkts

Mit Unterstützung von The European Commission
"Veraltet!"- Enrico Letta drängt auf radikale Umgestaltung des EU-Binnenmarkts
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Von Andrea BolithoEuronews
Zuerst veröffentlicht am
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Der EU-Binnenmarkt basiert auf dem freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Der ehemalige italienische Ministerpräsident Enrico Letta will eine fünfte Freiheit, die der Forschung, Bildung und Innovation.

"Ich gehe von einem großen roten Alarm. Der Abstand zu den USA wird immer größer." Der Alarm, den Enrico Letta so anschaulich vor Augen hat, ist der Weckruf, den die Europäische Union seiner Meinung nach braucht. Die Eu muss erkennen, dass der eigene Binnenmarkt dringend weiterwentwicklet werden muss, um mit Konkurrenten wie den USA und China mithalten zu können. Der europäische Binnenmarkt muss sich an die globalen geopolitischen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte anpassen.

Der Binnenmarkt in seiner heutigen Form reicht nicht aus. Er wurde für eine Welt konzipiert, die es nicht mehr gibt.
Enrico Letta
Ehemaliger Ministerpräsident Italiens

Der ehemalige italienische Ministerpräsident und Akademiker hat im Auftrag der belgischen EU-Ratspräsidentschafteinen Bericht über die Zukunft des europäischen Binnenmarktes verfasst. Der Binnenmarkt wurde vor 31 Jahren geschaffen, um die Integration der Binnenwirtschaft der EU voranzutreiben. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass der Binnenmarkt, der 1993 eine Innovation war, 2024 einen gewaltigen Sprung nach vorne machen muss.

"Der Binnenmarkt in seiner heutigen Form reicht nicht aus, denn er wurde für eine Welt konzipiert, die es nicht mehr gibt“, sagt er. Seine umfassende Studie nahm sechs Monate in Anspruch und umfasste eine Reise durch 65 Städte und rund 400 Sitzungen.

Grenzen der Wettbewerbsfähigkeit der EU

Der heutige europäische Binnenmarkt wurde in einem ganz anderen globalen Finanz- und Handelsumfeld gegründet. "Als Jacques Delors den Binnenmarkt zum ersten Mal ins Leben rief, gab es noch die Sowjetunion, Deutschland war noch nicht wiedervereint, China und Indien machten zusammen vier Prozent des weltweiten BIP aus“, sagt Enrico Letta. „Die Großen von heute und morgen müssen größer sein, denn die Dimensionen Chinas, der USA und der BRICS-Staaten haben sich völlig verändert.“

Drei Sektoren sind allerdings nicht Teil des gemeinsamen Binnenmarkts: Energie, Finanzdienstleistungen und Telekommunikation. Letta glaubt, dass die Fragmentierung in diesen Sektoren der Wettbewerbsfähigkeit Europas schadet: „Wir haben 100 Telekommunikationsbetreiber in Europa, die in jedem Land in drei, vier oder fünf Betreiber aufgeteilt sind“, fügt er hinzu. „In den USA gibt es drei, in China hat jeder Betreiber mehr als 467 Millionen Kunden.“

Mangel an integrierten Finanzdienstleistungen

Noch schlimmer ist für Letta die mangelnde Integration der Finanzdienstleistungen innerhalb der EU. "Unsere 27 Finanzmärkte sind nicht ausreichend integriert, nicht attraktiv genug, sie sind zu klein. Der amerikanische Markt hat diese Sogwirkung.“

Der italienische Mitte-Links-Politiker schlägt vor, eine Spar- und Investitionsunion zu schaffen. Diese bezeichnet er als eine Säule des privaten Geldes. Zusammen mit öffentlichen Mitteln würde sie für Europas Vorzeige-Netto-Null-Politik aufkommen.

Die Finanzierung ist jedoch ein umstrittenes Thema. „Wir haben immer noch keine Antwort auf die Frage, wie der Übergang finanziert werden soll“, sagt Letta. „Die Landwirte werden die ersten von vielen sein, die protestieren. Als nächstes werden es die Arbeiter in der Automobilindustrie sein. Danach werden andere Arbeiter, andere Geschäftsleute und andere Bürger kommen.“

Die Idee ist, ausgehend vom Rechtssystem, einen Generalschlüssel zu schaffen - ein 28. Rechtssystem.
Enrico Letta
Ehemaliger Italienischer Ministerpräsident

Viele Unternehmer sagen, der Binnenmarkt funktioniere für sie nicht. Große Unternehmen haben die finanziellen Mittel und das Personal, um in Ländern mit unterschiedlichen Rechtssystemen zu operieren. Kleinere Firmen haben das nicht. Letta will dies vereinfachen: „Die Idee ist, ausgehend vom Rechtssystem, einen Generalschlüssel, eine Art Passepartout zu schaffen. Ein Rechtssystem, ein 28. Rechtssystem, das quasi ein anderes europäisches Land ist, ein virtuelles Land mit seinem eigenen Rechtssystem.“

Was halten die Unternehmen von diesem "Generalschlüssel"?

Business Planet fragte den Leiter der Lobbyorganisation für kleine Technologieunternehmen DigitalSME, ob er glaube, dass dies helfen würde. Sebastiano Toffaletti, Generalsekretär der European Digital SME Alliance, äußerte sich sehr positiv zu dieser Idee. "Ich halte das für eine brillante Idee“, sagte er. „Wenn ich ein Unternehmen gründen will, muss ich es in meinem Land gründen. Ich bin zum Beispiel Italiener, ich werde es in Italien gründen. Aber wenn ich in Frankreich, Polen oder anderswo Geschäfte machen will, muss ich in diesen Ländern ein anderes Unternehmen gründen, das ist ein totales Durcheinander.“

Eine fünfte Freiheit in der europäischen Wirtschaft

Die vier Säulen des europäischen Binnenmarktes sind der freie Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Personenverkehr. Letta räumt ein, dass dies eine Sichtweise aus dem 20. Jahrhundert ist. Wir bräuchten dringend eine fünfte Freiheit - für Innovation, Forschung und Bildung. 

Er erklärt: "Bei Treffen in ganz Europa sagten mir viele junge Menschen aus Start-ups: 'Wir wollen in die USA gehen, Europa ist nicht der Ort, an dem wir unsere Ideen entwickeln können.'"

Ein Beispiel für das Entwicklungspotenzial dieser Freiheit ist die Medizinforschung. Hier beschleunigt der freie Zugang zu Artikeln und Daten bereits jetzt den Erkenntnisgewinn im europäischen Gesundheitswesen. Eine dieser Forschungseinrichtungen ist das französische, öffentliche Institut INSERM (Institut national de la santé et de la recherche médicale). Euronews war vor Ort.

Die Forschungsleiterin Isabelle Chemin erzählt: "Wir sehen jetzt regelmäßig Veröffentlichungen von Artikeln, die auf der Verwendung eines Datensatzes basieren, der von einem anderen Labor, möglicherweise in einem anderen Land, erstellt wurde. Und das finde ich fantastisch." Dieser freiheitliche Ansatz vermeide es, dass mehrere Labore in der ganzen Welt an dasselbe machen. "Das spart Geld und Zeit", fügt sie hinzu.

Forschungszentren wie das INSERM sind notwendig für ein innovatives, wettbewerbsfähiges Europa. Ein Binnenmarkt der nächsten Generation ist unerlässlich, damit dieser und andere Sektoren ihr Potenzial voll entfalten können. Wenn die Staats- und Regierungschefs der EU die Vision von Enrico Letta teilen, könnte ein modernisierter Binnenamrkt Wirklichkeit werden.

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