Die Weltorganisation für Meteorologie fordert mehr Investitionen in die Überwachung und Vorhersage von Gletscherveränderungen. Nur so könne der Schutz von Berggemeinden abgesichert werden.
Gletscher bergen immer mehr Risiken und könnten zu einem globalen Problem werden, warnt die Generalsekretärin der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), Celeste Saulo.
In ihrer Rede auf der Gletscherschutzkonferenz in Duschanbe, Tadschikistan, betonte Saulo, dass alle Länder, unabhängig von ihrem Entwicklungsstand, mit Bedrohungen durch Veränderungen von Gletschern aufgrund des Klimawandels konfrontiert sind.
Blatten verschüttet: Gletscherabbruch hat Lawine ausgelöst
Eine jüngste Katastrophe im Schweizer Dorf Blatten hat die Gefahren verdeutlicht. Eine durch den Gletscher ausgelöste Schlammlawine verschüttete das Dorf und die umliegende Gegend und zerstörte fast alle Lebensgrundlagen.
Eine Person wird nach wie vor vermisst. Durch Frühwarnsysteme und einer frühzeitigen Evakuierung des Dorfes Blatten konnten die Gesamtauswirkungen jedoch deutlich verringert werden.
Die WMO drängt nun darauf, mehr in die Überwachung und Vorhersage von Gletscherveränderungen zu investieren. Dies sei aufgrund der zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels unabdingbar.
Saulo betonte die Notwendigkeit einer stärkeren Sensibilisierung und Unterstützung der hydrometeorologischen Zentren weltweit.
"Mit einer besseren Überwachung können wir bessere Vorhersagen erwarten, und mit diesen können wir letztendlich bessere Frühwarnsysteme zum Schutz der Gesellschaft, der Menschen und der Lebensgrundlagen erwarten", sagte sie.
Wieso stürzen Teile von Gletschern ab?
Zwar machen hochalpine Berge und ganze Gebirgsketten einen stabilen Eindruck, doch insgesamt sind sie meist kontinuierlich in kleinster Bewegung. Dies geschehe durch zwei Arten der Erosion, erklärt Gletscherforscher Donovan Dennis vom Klimafolgenforschungsinstitut Potsdam.
Einerseits durch Frostverwitterung, andererseits durch Permafrost. Frostverwitterung geschieht über mehrere Tausend bis Millionen Jahre. Eisablagerungen innerhalb von Gesteinen führen bei bestimmten Temperaturen, etwa Minus drei bis vier Grad, zu kleinsten Sprengungen und zersetzen den Fels.
Bei Permafrost hingegen "tritt Erosion auf, wenn die Temperaturen über dem Gefrierpunkt liegen", so Dennis. Erst, wenn dieser sonst dauerhaft gefrorene Boden auftaut, komme es zur Destabilisierung von Berghängen.
"Wir können uns den Permafrost in den Alpen größtenteils als eine Art Klebstoff vorstellen. Dieser Klebstoff hält die sehr steilen Felswände zusammen. Wenn der Permafrost aufzutauen beginnt, schmelzen dünne Eisschichten, die im Gestein vorkommen. Wenn diese weg sind, kann es zu Bergstürzen kommen."
Es sei allerdings schwierig, ein bestimmtes Ereignis dem Klimawandel zuzuschreiben. "Es scheint, dass dieses Ereignis in der Schweiz teilweise auf die langfristige Erwärmung zurückzuführen ist", ordnet Dennis ein.
"Was wir allgemein sagen können, ist, dass Felsstürze wie diese zunehmen, und das scheint auf das Auftauen des Permafrostes zurückzuführen zu sein, und dass dieses Auftauen selbst durch den Klimawandel verursacht wird", so Dennis. Die Gletscher spielen eine wichtige Rolle bei der Stabilisierung von Berghängen.
"Wenn die Dinge kalt sind, wenn weniger Energie im Ökosystem vorhanden ist, ist es intuitiv weniger dynamisch." Gefrorene Dinge würden sich weniger stark bewegen, sagt Dennis. Deshalb sei es wichtig, dass die Gletscher erhalten bleiben.
Der Schweizer Gletscherabbruch ist kein Einzelfall
Erst vergangene Woche wurde Blatten unter einer gewaltigen Fels- und Eislawine vom Birchgletscher begraben. Blockaden durch Geröll brachten den nahegelegen Fluss dazu, über die Ufer zu treten.
Experten hatten vor einem möglichen Abbruch des Gletschers gewarnt. Der Berg besteht unter anderem aus 1,5 Millionen Kubikmetern Eis.
Die örtlichen Behörden handelten schnell und evakuierten rund 300 Menschen und Tiere. Einige Tage nach dem Ereignis konnte der Fluss Lonza seinen Lauf durch die Trümmer wieder aufnehmen.
Blatten ist kein Einzelfall. Im Jahr 2022 brach während einer sommerlichen Hitzewelle ein Stück des Marmolada-Gletschers in den italienischen Dolomiten ab, das etwa so groß wie ein Wohnhaus war. Die dadurch ausgelöste Lawine überrollte ein beliebtes Wandergebiet. Elf Menschen kamen dabei ums Leben.
Im Jahr 2016 brach ein Teil vom Gletscher in der Aru-Bergkette in Tibet plötzlich ab und tötete neun Menschen und ihre Nutztiere. Einige Monate später brach in derselben Region ein weiterer Teil eines Gletschers ab.
Auch in Peru gab es bereits Gletscherabbrüche. Im Jahr 2006 löste einer davon einen Mini-Tsunami aus. Im April des laufenden Jahres verursachte eine überlaufende Gletscherlagune einen Erdrutsch, bei dem zwei Menschen ums Leben kamen.
"Es ist manchmal erstaunlich, wie schnell sie kollabieren können", sagte Lonnie Thompson, ein Gletscherexperte an der Ohio State University, gegenüber AP. "Die Instabilität dieser Gletscher ist ein echtes und wachsendes Problem. Es gibt tausende und abertausende Menschen, die gefährdet sind."
Auch Gletscherforscher Dennis sagt: "Das ist nicht der letzte Felssturz, den wir in den Alpen erlebt haben. Wenn wir uns weiter erwärmen, werden wir immer höhere Erhebungen destabilisieren." Es handele sich um die Frage, wie weit wir es kommen lassen wollen, mahnt Dennis.
Es wird erwartet, dass schmelzende Gletscher noch jahrzehntelang zum Anstieg des Meeresspiegels beitragen werden. Wissenschaftler warnen jedoch, dass der Verlust von Binnengletschern unmittelbare Risiken für die nahe gelegenen Gemeinden birgt. Diese sind für die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft auf die Gletscher angewiesen.