Die Woche in Europa - Orban lenkt ein, die Bauern machen weiter

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban im Gespräch mit seinem slowakischen Kollegen Robert Fico, 1. Februar
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban im Gespräch mit seinem slowakischen Kollegen Robert Fico, 1. Februar Copyright Geert Vanden Wijngaert/Copyright 2024 The AP. All rights reserved
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Von Stefan Grobe
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Vor dem Hintergrund massiver Bauernproteste hat der EU-Gipfel das 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Ukraine beschlossen - mit der Stimme Ungarns. Budapest gab seinen Monate langen Widerstand am Ende auf.

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Diejenigen von Ihnen, die die europaweiten Bauernproteste nicht verfolgt haben UND in Brüssel leben, erlebten diese Woche eine große Überraschung.

Am Donnerstag erwachte die normalerweise ruhige Stadt mit Verkehrsstaus, Traktorhupen und, wenn man Pech hatte, dem Geruch brennender Reifen.

Das Europaviertel, normalerweise ein Ort, der von Politikern, Beamten, Lobbyisten und Journalisten bevölkert wird, war plötzlich ein Hexenkessel, wie es ein Beobachter ausdrückte.

Tausende von Landwirten fuhren mit ihren Traktoren in die Stadt, um das anzuprangern, was sie für eine zutiefst ungerechte und inkohärente Agrarpolitik halten.

Das offizielle Brüssel sagte: "Wir hören Euch."

Vorschläge zur Begrenzung von Agrarimporten aus der Ukraine und zur Lockerung der Umweltvorschriften für Brachflächen waren einige der Maßnahmen, die die EU-Kommission angesichts der Proteste ankündigte.

"Die Kommission ist der Ansicht, dass wir mit diesen stabilisierenden Maßnahmen dazu beitragen können, den Druck zu mindern, den unsere Landwirte spüren, um sicherzustellen, dass sie in diesen Zeiten großer Unsicherheit wirtschaftlich überlebensfähig bleiben", sagte Kommissions-Vizepräsident Maroš Šefčovič.

Ob diese Maßnahmen ausreichen, um die Landwirte zu besänftigen, werden erst die nächsten Wochen und Monate zeigen.

Der Zeitpunkt der Proteste in Brüssel war indes nicht zufällig gewählt.

Am selben Tag trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zu einem Sondergipfel, auf dem ein 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket für die Ukraine beschlossen wurde.

Die Einigung war möglich, nachdem die Staats- und Regierungschefs den letzten Verweigerer, Ungarn, zur Unterwerfung gedrängt hatten.

Bis zum Morgen des Gipfeltreffens hatte Ministerpräsident Viktor Orban die Freigabe neuer Mittel für die Ukraine im Alleingang blockiert.

Was ihn umgestimmt hat, ist nicht ganz klar.

Einige Teilnehmer des Gipfels vermieden jede öffentliche Zurschaustellung von Triumphalismus.

"Es waren intensive vertrauensvolle Gespräche mit großer Klarheit über die Lage", sagte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz.

"Aber, das werden Sie schon verstehen, dass ich - so sehr ich Ihr Interesse nachvollziehen kann - da keine Einblicke durchs Schlüsselloch gebe."

Orban ist bekannt dafür, dass er seine Partner in der EU und in der NATO verprellt - so hält er Schweden immer noch davon ab, dem Bündnis beizutreten.

Was ist Orbans Gesamtstrategie? Unterscheiden sich die Interessen Ungarns so sehr vom Rest der EU?

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Dazu ein Interview mit Frank Furedi, Direktor der ungarischen Denkfabrik MCC in Brüssel.

Euronews: Viktor Orban hat also endlich eingelenkt und die Ukraine-Hilfe auf dem Gipfel unterstützt, der ungarische Außenminister war diese Woche in der Ukraine, offenbar plant Orban auch einen Besuch - deutet das darauf hin, dass Budapest seine harte Haltung zur Ukraine aufweicht?

Furedi: Nun, ich denke, dass der ungarische Ministerpräsident ein ziemlich pragmatischer Politiker ist. Und solange es die Möglichkeit gibt, diese Frage später noch einmal zu besprechen, ist er bereit, die Entscheidung mitzutragen. Es ist nicht unbedingt das, was er wollte, aber angesichts des Kräfteverhältnisses und der Berechnungen, die er angestellt hat, war er letztendlich bereit, sich damit abzufinden.

Euronews: Wie denken die Menschen in Ungarn über die westliche Militärhilfe für die Ukraine?

Furedi: Die meisten Ungarn stehen dem Streben der Ukraine nach Unabhängigkeit sehr positiv gegenüber. Die meisten Ungarn sind auch nervös wegen der Präsenz Russlands, ebenso wie wegen der Ukraine, denn beide Länder sind sehr groß. In Ungarn ist man daher der Meinung, dass die ungarische Gesellschaft sich umso wohler fühlen wird, je früher der Krieg endet.

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Euronews: Zu sagen, dass Orban schon mal mit Brüssel aneinandergeraten ist, wäre eine gewaltige Untertreibung. Jetzt ist er isolierter als je zuvor - was ist seine Strategie hier, genießt er das eigentlich?

Furedi: Nun, wissen Sie, ich sehe es so, dass Viktor Orban auf den Tagungen des Europäischen Rates isoliert sein mag, aber ich habe den Eindruck, dass viele Leute auf ihn schauen, weil er Dinge sagt, die andere Leute vielleicht nicht auszusprechen wagen. Viele Menschen, zum Beispiel andere Politiker und Ministerpräsidenten, sind ebenfalls misstrauisch gegenüber der Art und Weise, wie der Krieg geführt wird, und gegenüber der Unterstützung der EU dafür. Aber Orban ist einer der wenigen, die bereit sind, aufzustehen und diese Dinge zu sagen.

Euronews: Ungarn übernimmt im Juli die EU-Ratspräsidentschaft - was können wir erwarten?

Furedi: Ich denke, die ungarische Präsidentschaft wird viele Menschen überraschen, weil sie erwarten, dass sie provokativ sein wird. Sie erwarten, dass der ungarische Ministerpräsident irgendwie alle möglichen Tricks ausprobiert. Sie vergessen dabei, dass Orban schon sehr lange im Amt ist. Er kennt die Spielregeln. Er ist sehr erfahren. Er ist sehr pragmatisch, er ist ein Dealmaker. Er macht immer Deals und ist daher in der Lage, seine Prinzipien mit den politischen Realitäten zu verbinden. Und ich denke, Sie können von Ungarn eine effektive Führung erwarten.

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