CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz schockiert mit radikalen Verschärfungen der deutschen Migrationspolitik. Noch vor den Bundestagswahlen in vier Wochen will der den Antrag einbringen. Was er fordert, wie die anderen Parteien reagieren und ob der Plan rechtlich umsetzbar ist - ein Überblick.
Es sind noch knapp vier Wochen bis zur Bundestagswahl und die Christdemokraten der CDU, die aktuell in der Opposition sind, wollen noch vor den Wahlen die deutsche Migrationspolitik radikal verändern - als Reaktion auf eine tödliche Messerattacke durch einen abgelehnten Asylbewerber aus Afghanistan in Aschaffenburg. Am Samstag hat die "Bild"-Zeitung über den Fünf-Punkte-Plan von Kanzlerkandidat Friedrich Merz berichtet, den er noch diese Woche, voraussichtlich Freitag, im Bundestag einbringen will. Es hagelte Kritik, Merz würde sich asylkritische Positionen der AfD aneignen. Die Union widersprach dem. Auch rechtlich ist der Merz-Plan umstritten. Er könnte unter anderem gegen das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl verstoßen.
Indessen haben am Samstag zehntausende Menschen bundesweit in mehr als 60 Großstädten und kleineren Orten gegen den aktuellen Rechtsruck im Land demonstriert, unter anderem in Köln, Berlin und auch in Aschaffenburg, dem Ort der tödlichen Messerattacke.
Was beinhalten die fünf Punkte?
Der Fünf-Punkte-Plan, der einigen deutschen Medien bereits als Antragsentwurf vorliegt, beinhaltet zuerst dauerhafte Grenzkontrollen aller deutschen Grenzen. Zurzeit gelten in Deutschland bereits vorübergehende Grenzkontrollen, die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) im September als Reaktion auf einen Messerangriff in Solingen angekündigt hatte, um die "irreguläre Migration" zu kontrollieren. In Solingen hatte im August ein Syrer drei Menschen mit einem Messer getötet und mehrere weitere verletzt. Einen Tag später reklamierte die islamistische Terrororganisation Islamischer Staat die Tat für sich. Wegen des Terrorverdachts übernahm der Generalbundesanwalt die Ermittlungen.
Als zweiten Punkt nennen die Antragsstellenden eine "Zurückweisung ausnahmslos aller Versuche illegaler Einreise". Sie will allen Personen, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen, die Einreise nach Deutschland faktisch verbieten - "unabhängig davon, ob sie ein Schutzgesuch äußern oder nicht". Die Union argumentiert, dass Menschen, die sich in den Nachbarstaaten Deutschlands befinden, bereits sicher seien.
Im dritten Punkt fordert die CDU-Bundestagsfraktion, alle "vollziehbar" Ausreisepflichtigen zu inhaftieren und die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen. "Abschiebungen müssen täglich stattfinden", heißt es in dem Antragspapier. Auch Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan sollen regelmäßig stattfinden.
Im vierten Punkt fordert die Union einen Ausbau der Unterstützung durch den Bund für die Länder bei Abschiebungen. Es sollen unter anderem "Bundesausreisezentren" geschaffen werden, "um Rückführungen zu erleichtern."
Im fünften und letzten Punkt fordert Merz eine "Verschärfung des Aufenthaltsrechts für Straftäter und Gefährder". Das heißt explizit in dem Antrag, dass ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder "in einem zeitlich unbefristeten Ausreisearrest bleiben" sollen, "bis sie freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren oder die Abschiebung vollzogen werden" könne.
Fall der Brandmauer?
Am Freitag hatte Merz noch gesagt, er würde den Antrag zur Not auch mit Stimmen der AfD durchbringen, woraufhin es Kritik aus dem ganzen Land hagelte. Zehntausende gingen in ganz Deutschland gegen Rechts auf die Straße.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte die Äußerungen von Merz "nationale Wichtigtuerei". In der deutschen Wirtschaftszeitung "Handelsblatt" kritisierte Scholz die Vorschläge, sie stehen "im Widerspruch zu unserer Verfassung, dem Grundgesetz und den europäischen Verträgen." Merz' Plan sei zum Scheitern verurteilt.
Auch andere aus der SPD kritisierten den Migrationsplan der Union scharf. Der SPD-Co-Chef Lars Klingbeil sagte der "Rheinischen Post", Merz werfe "die bisherigen Prinzipien der Union gegenüber der AfD über den Haufen, spaltet die demokratische Mitte unseres Landes und stößt unsere europäischen Partner vor den Kopf".
Kanzlerkandidat der Grünen Robert Habeck warf dem CDU-Chef "Ideologie" vor. So rief er am Wochenende beim Parteitag der Grünen zum Zusammenhalt der demokratischen Parteien auf: "Einigungsfähigkeit heißt aber nicht Kompromisslosigkeit, heißt nicht 'friss oder stirb', heißt nicht 'entweder stimmt ihr zu, oder ich stimme mit Rechtsradikalen'. Das ist nicht Mitte, das ist Ideologie."
Am Montag ruderte Merz bei einer Pressekonferenz bereits mit seiner Aussage zurück. Er wolle keine neuen Mehrheiten eingehen. Er werbe um die Zustimmung von SPD, Grünen und FDP. Er beharrte auf die Brandmauer gegen die AfD.
Die Union hat einen Absatz dem Antragsentwurf hinzugefügt, in dem sie die AfD scharf kritisiert. Damit will sich die CDU/CSU von der Rechtsaußenpartei abgrenzen und sie davon abhalten, für den Antrag im Bundestag zu stimmen.
Merz betonte aber wieder, dass er den Antrag unbedingt noch diese Woche, voraussichtlich am Freitag, im Bundestag einbringen werde. Er sagte, die ehemaligen Ampel-Parteien sollten in Migrationsfragen "zur Vernunft kommen" und gesetzgeberische Maßnahmen ergreifen. Am wahrscheinlichsten scheint die Zustimmung der FDP.
Ist Merz' Plan rechtlich umsetzbar?
Experten äußerten bereits Zweifel daran, dass Merz' Plan nach deutschem und EU-Recht überhaupt umsetzbar ist. Dauerhafte Grenzkontrollen sind innerhalb des Schengen-Raums nicht vorgesehen. Auch bei Ausnahmeregelungen, wie sie zurzeit gelten, sind sie nur zeitlich begrenzt durchsetzbar.
Ob Abweisungen an deutschen Grenzen überhaupt möglich sind, ist ebenfalls zu hinterfragen. Der Konstanzer Migrationsrechtler Daniel Thym erklärte gegenüber der "Tagesschau", dass das aktuelle europäische Recht vorsieht, dass Menschen zunächst einreisen dürfen, um anschließend in einem Verfahren zu klären, ob eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann oder ob eine Ausweisung erforderlich ist. Die CDU versuche, eine Ausnahmeregelung in den europäischen Verträgen in Kraft zu setzen. Letztlich müsse jedoch gerichtlich geklärt werden, ob die Erklärung eines Notstands rechtlich zulässig ist.
Auch die anderen Forderungen nach mehr Abschiebungen und Abschiebehaft könnten an praktischen Punkten, wie fehlenden diplomatischen Beziehungen mit Afghanistan oder zu wenigen Abschiebehaftplätzen scheitern.