Nicht alle der 27 Mitgliedsstaaten sind der Meinung, dass Israels Angriff auf den Iran völkerrechtlich zulässig ist. Die Differenzen werden bei einem Treffen der Botschafter in Brüssel im Vorfeld des Gipfels der Staats- und Regierungschefs in der kommenden Woche wohl deutlich werden.
Meinungsverschiedenheiten über die Rechtfertigung für den israelischen Angriff auf den Iran vergangene Woche werden in Brüssel unter den Botschaftern aufkommen und die Versuche der EU, eine gemeinsame Antwort auf die Krise in Nahost zu finden, schwierig machen, so Quellen, mit denen Euronews gesprochen hat.
"Es ist definitiv ein Thema, das diskutiert wird - inwieweit dieses Recht auf Selbstverteidigung akzeptabel ist", sagte eine Quelle.
Die EU gab am Folgetag des israelischen Angriffs eine Erklärung ab, in der sie "alle Seiten dazu aufrief, sich an das Völkerrecht zu halten, Zurückhaltung zu üben und von weiteren Schritten abzusehen, die schwerwiegende Folgen wie eine mögliche Freisetzung von Radioaktivität haben könnten".
Aus Kreisen, die mit der Diskussion vertraut sind, heißt es, ein "wichtiger" Teil der Beratungen unter den Mitgliedstaaten sei die Frage gewesen, ob die EU im Zusammenhang mit den Angriffen auf den Iran erklären solle, dass "Israel das Recht hat, sich zu verteidigen".
Etwa 15 Mitgliedstaaten, darunter Österreich, Tschechien, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien und die Niederlande, wollten diese Zeile hinzufügen, aber sie wurde nicht einstimmig beschlossen.
Mehrere andere Länder waren der Ansicht, dass es keine ausreichenden Beweise dafür gab, dass Israel nach dem Völkerrecht das Recht hatte, seine Offensive gegen den Iran zu starten.
Nach dem Völkerrecht und der UN-Charta kann ein Staat im Falle eines bewaffneten Angriffs oder auch eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch machen. Jede notwendige Maßnahme muss aber auch verhältnismäßig sein.
Kein Konsens über Rechtfertigung der Angriffe
Israel vertritt die Auffassung, seine Serie von Angriffen sei eine Präventivmaßnahme, um den Iran daran zu hindern, Atomwaffen herzustellen.
Das Thema soll von den Botschaftern in Brüssel diskutiert werden und steht auf der Tagesordnung des EU-Gipfels der Staats- und Regierungschefs nächste Woche. Die von Euronews eingesehenen Entwürfe für die Schlussfolgerungen des Gipfels enthalten derzeit keinen Wortlaut in Bezug auf die Position des EU-Rates zum israelisch-iranischen Konflikt.
Unterdessen erklärten EU-Quellen gegenüber Euronews, sie seien "überrascht" von einem Tweet der Kommissionspräsidentin, in dem sie implizite Unterstützung für Israels Angriffe gegen Teheran äußerte.
Die Botschaft von Ursula von der Leyen ging weiter als die vereinbarte Erklärung des Europäischen Rates, der jener Arm der EU ist, der die Autorität hat, Außenpolitik zu betreiben.
Ursula von der Leyen twitterte: "Ich habe mit Bundespräsident Herzog über die eskalierende Situation im Nahen Osten gesprochen. Ich habe das Recht Israels bekräftigt, sich selbst zu verteidigen und sein Volk zu schützen".
"Es gab keinen Konsens darüber, dass Israel das Recht hat, sich zu verteidigen, aber von der Leyen hat es trotzdem gesagt", sagte eine andere diplomatische Quelle gegenüber Euronews.
"Sie hat die vereinbarte Formulierung gesehen und dann ihre eigene Erklärung abgegeben", hieß es.
"Es war entmutigend, um ehrlich zu sein", so der Diplomat.
"Diese Länder wie der Iran - so schlimm sie auch sind - fügen sich nicht einfach, wenn sie auf diese Weise angegriffen werden, und was als nächstes kommt, wird noch viel schlimmer sein, selbst wenn es einen Regimewechsel im Iran gibt", sagte die Quelle und fügte hinzu: "Und wenn dann zwei oder drei Millionen Iraner vor Europas Tür auftauchen, werden sie sagen, dass wir diese Migrationskrise nicht bewältigen können."
"Mitgliedstaaten, die Israel kritisch gegenüberstehen, sagten, sie hielten die israelischen Angriffe auf den Iran für unverantwortlich, aber eine große Gruppe ist auch mit von der Leyens Erklärung einverstanden", sagte ein anderer Diplomat.
"Wir würden sagen, das ist eine Frage für Rechtsgelehrte - es gibt noch kein Urteil dazu", antwortete der Diplomat auf die Frage, ob seine Regierung den Krieg gegen den Iran für völkerrechtskonform halte.
Kallas bekräftigt Position
Der ehemalige Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), Mohammad El Baradei, erklärte in einem Beitrag auf X, dass der israelische "Verdacht keine unmittelbare Bedrohung" darstelle und dass Israels Angriff auf die Atomanlagen völkerrechtlich illegal sei.
"Die Präsidentin hat ihre Position klar gemacht, ihre Position wurde bereits in der Erklärung der G7-Staats- und Regierungschefs zu den Entwicklungen in der Region deutlich gemacht", sagte von der Leyens Sprecher auf die Frage nach dem Unterschied zwischen der offiziellen Erklärung der EU und jener der Kommissionspräsidentin.
"Sie hat sich auch in den sozialen Medien geäußert und betont, dass Israel das Recht hat, sich zu verteidigen, und dass der Iran die Hauptquelle der Spannungen in der Region ist", so Stefan de Keersmaecker.
Die EU betrachtet den Iran durch seine militärische Unterstützung Russlands als entscheidend destabilisierenden Einfluss auf dem europäischen Kontinent.
Nach Angaben der ukrainischen Armee liefert der Iran seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 Shahed-Drohnen an Russland.
Inzwischen hat die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas die offizielle EU-Position für eine diplomatische Lösung des israelisch-iranischen Krieges bekräftigt.
Sie forderte erneut alle Seiten auf, "das Völkerrecht einzuhalten und die Situation zu deeskalieren".
Sie twitterte auch, dass "Israel das Recht hat, sich im Einklang mit dem Völkerrecht zu verteidigen."