Eskalation am Abend: Die Fraktionen von Union und SPD haben am Dienstag kurzfristig ihre Pressekonferenz zum neuen Wehrdienst abgesagt.
Eigentlich wollten die Verteidigungsexperten beider Fraktionen am Dienstagabend eine Einigung im Streit um den Wehrdienst präsentieren. Die Pressekonferenz wurde jedoch überraschend abgesagt. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen hat es keine Zustimmung zu den Eckpunkten gegeben, auf die sich zuvor Unterhändler von Union und SPD verständigt hatten.
Verteidigungsminister Boris Pistorius machte beim Verlassen der SPD-Fraktionssitzung keinen Hehl aus seiner Verärgerung: "Das war nicht meine Idee, das war eine Unions-Idee", sagte er zur Süddeutschen Zeitung. Der Kompromiss von vier Fachpolitikern aus Union und SPD hatte vorgesehen, eine Musterung einzuführen und im Falle zu weniger Freiwilliger auf ein Losverfahren zurückzugreifen.
Noch am Nachmittag schien alles "in Butter"
Kurioserweise hatte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch noch am Nachmittag seine Zufriedenheit darüber zum Ausdruck gebracht, dass es nun "Eckpunkte gibt, die meines Erachtens eine gute Diskussionsgrundlage für die parlamentarischen Beratungen darstellen".
Auch Unionsfraktionschef Jens Spahn meinte, es sei "eine gute Lösung gefunden" worden. Aus seiner Sicht sei das Losverfahren die fairste Variante.
CDU-Verteidigungspolitiker Norbert Röttgen macht Pistorius große Vorwürfe. Dem RND sagte er: "Ich kann nicht verstehen, wie man einen Gesetzgebungsprozess als Verteidigungsminister derart torpedieren und sich so destruktiv verhalten kann. Die SPD muss sich jetzt sortieren."
Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung drückt sich Röttgen noch deutlicher aus: "Ich habe es in über 30 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag noch nie erlebt, dass ein Bundesminister in seinem eigenen Verantwortungsbereich ein wichtiges Gesetzgebungsverfahren frontal torpediert und die eigene Fraktion in Chaos stürzt", sagte er. Röttgen war Teil des Fachpolitiker-Komitees, er hatte den Kompromiss gemeinsam mit Siemtje Möller, Falko Droßmann (beide SPD) und Thomas Erndl (CSU) ausgehandelt.
Am Los gescheitert
Verteidigungsminister Pistorius betonte das Prinzip der Freiwilligkeit, wollte aber dennoch, dass vorsorglich alle jungen Männer eines Jahrgangs – bis zu 300.000 – gemustert werden. Ziel sei es, im Falle eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls bei Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht ein klares Bild über die Tauglichkeit der potenziellen Wehrpflichtigen zu haben – auch, um rechtliche Risiken zu minimieren.
Die Frage der Auslosung brachte das Ganze dann offenbar kurz vor der geplanten Pressekonferenz zum Platzen: Eine Entscheidung über Fragen von Leben und Tod dem Zufallsprinzip zu überlassen – etwa darüber, wer gemustert und zum Wehrdienst verpflichtet wird – ging vielen in der SPD zu weit. In der SPD-Fraktionssitzung stieß das Vorhaben auf erheblichen Widerstand.
Erst in der vergangenen Woche ließ die Unionsfraktion den Gesetzentwurf kurzfristig von der Tagesordnung streichen. Der Grund: Den Unions-Abgeordneten reichte der freiwillige Dienst nicht aus – sie bestanden auf einer Wehrpflicht.
Ob das Gesetz wie geplant am Donnerstag in den Bundestag eingebracht wird, ist jetzt völlig offen.