Verehrt in Europa, verhasst im Netz: Wer agiert, wird selbst zur Zielscheibe - wie Jacinda Ardern

Bei ihrem letzten öffentlichen Auftritt am 24. Januar sagte Ardern, sie werde vor allem den Kontakt mit den Menschen vermissen.
Bei ihrem letzten öffentlichen Auftritt am 24. Januar sagte Ardern, sie werde vor allem den Kontakt mit den Menschen vermissen. Copyright Mark Mitchell/New Zealand Herald
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Von Alexandra Leistner
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Jacinda Ardern hat sich in ihrer Amtszeit für den Kampf gegen Falschinformationen engagiert - und wurde genau deswegen ein Opfer. Ein Gespräch mit Forscherin Kate Hannah vom Disinformation Project.

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Als Jacinda Ardern im Januar 2023 ihren Rücktritt ankündigte, kam das für einige als Überraschung. Für andere war es eine logische Folge aus ihren sich verschlechternden Umfragewerten. 

Wieder andere wissen, dass auch die psychische Belastung, den der Job als Premierministerin mit sich brachte, schwer wog und zumindest zu Arderns Entscheidung beigetragen haben dürfte.

Als "Demut vor den eigenen Grenzen" beschreibt Autorin Jagoda Marinić, dass Ardern zugibt, nicht mehr ausreichend Energie zu haben, ihr Land für eine weitere Amtszeit anzuführen. 

Weltweit galt Ardern als eine besonders beliebte Politikerin, die schwanger ins Amt kam und zeigte, dass es zwar nicht einfach aber möglich ist, eine hochrangige Karriere und eine Familie zu vereinen. 

Generell wurde sie in den europäischen Medien und in der Öffentlichkeit dafür gelobt, ihre mentale Gesundheit zu priorisieren. Bis zur ihrer letzten Rede als Premierministerin hat man Ardern mit den männlichen Staats- und Regierungschefs, ihrer Art abzudanken oder sich an ihr Amt zu klammern, verglichen. 

Und dabei zeigt sich: Anders als viele ihrer männlichen Amtskollegen oder Vorgänger, war Ardern heftigster Hetze und Drohungen ausgesetzt. Und sie wird, wie neuseeländische Medien erfahren haben, auch über ihre Amtszeit hinaus Polizeischutz brauchen.

Wenn Gewalt und Drohungen zur Norm werden

Denn die Gewalt, der Ardern im Internet ausgesetzt war, kam nicht ausschließlich aus den "dunklen Ecken" des Internets, weiß Wissenschaftlerin Kate Hannah von der Auckland University. 

Im Rahmen des "Disinformation Project" stellte sie mit ihrem fachübergreifenden Team fest, dass die am häufigsten genannten Beleidigungen wie "Hexe" und "Schlampe" in Bezug auf Ardern auch auf Mainstream-Social-Media-Kanälen und Kommentarzeilen auf Medienseiten völlig gängig waren.

Auch andere Politiker, darunter der neue Premier Chris Hipkins, erhielten Morddrohungen, so Kate Hannah gegenüber Euronews. Der entscheidende Unterschied sei die Häufigkeit und auch die Normalisierung des Hasses und speziell der Frauenfeindlichkeit, mit der viele Menschen im Internet Jacinda Ardern begegneten. Auch das hohe Niveau vulgärer Sprache habe man so bei anderen Personen, die ihr Team im Vergleich beobachtete, nicht gesehen.

"Dabei handelt es sich um stark geschlechtsspezifische, extrem gewalttätige Sprachmerkmale, die von anderen Nutzern wenig bis gar nicht zurückgewiesen werden", so die Wissenschaftlerin.

3 Momente, an denen der Hass aufflammte

Über die drei Jahre in denen Hannah die Online-Gewalt untersuchen, konnten sie drei Momente identifizieren, in denen Hass on- und offline besonders ausgeprägt waren. Dazu zählten paradoxerweise ihre Rede 2022 vor Absolvent:innen der Havard-Universität, in der sie über die wachsende Kultur der Verbreitung von Falschinformation über das Internet warnte.

Das Reden über das Problem führt zu einem erheblichen Anstieg der Online-Gewalt.
Kate Hannah
Wissenschaftlerin beim Disinformation Project in Auckland, Neuseeland

Auch vor den Vereinten Nationen sprach Ardern wenig später über Online-Hass, Mobbing und die Rolle bewusst verbeiteter falscher Informationen und ihre Rolle bei den Anschlägen von Christchurch im März 2019, bei denen 51 Menschen ums Leben kamen und Dutzende verletzt wurden.

Die Ermittlungen ergaben, dass der Täter sich online radikalisiert hatte. Wenig später rief Ardern gemeinsam mit der französischen Regierung den "Christchurch Call" ins Leben, ein Zusammenschluss von mehr als "120 Regierungen, Online-Diensteanbieter und Organisationen der Zivilgesellschaft, die gemeinsam handeln, um terroristische und gewalttätige extremistische Inhalte im Internet zu beseitigen".

Der dritte Moment, in dem Online-Drohungen gegen Ardern einen Hochpunkt erreichten, so Hannah, war "traurigerweise", als Elon Musk Twitter übernahm.

Und wer über Online-Hass spricht, der zieht genau das an, weiß auch Kate Hannah, die Seminare aufgrund von Drohungen gegen ihre Person Ende vergangenen Jahres absagen musste.

"Das Reden über das Problem führt zu einem erheblichen Anstieg der Online-Gewalt, einschließlich ernster Drohungen", so Hannah. "Ziele ist, diejenigen von uns zum Schweigen zu bringen, die versuchen, über das Problem zu sprechen."

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