Euronews Business untersucht, wie Russland Kirgisistan als wichtiges Drittland benutzt, um trotz Sanktionen weiterhin Handelsbeziehungen mit einer Reihe von europäischen Staaten zu unterhalten.
Russland führt weiterhin einen Krieg gegen die Ukraine. Deswegen haben die EU, das Vereinigte Königreich, die USA sowie eine Reihe anderer internationaler Akteure in den vergangenen Jahren eine Reihe von Sanktionen gegen Russland verhängt.
Trotz der immer zahlreicheren und strengeren Sanktionen hat Russland weiterhin Wege gefunden, den Handel mit Europa aufrechtzuerhalten.
Das Brookings Institute hat die Handelsdaten des Internationalen Währungsfonds (IWF) genutzt, um die Ausfuhren mehrerer Länder in Länder der ehemaligen Sowjetunion in den vergangenen Jahren zu kartieren, bei denen der Verdacht besteht, dass es sich um Umladevorgänge nach Russland handelt.
Das Brookings Institute untersuchte dabei Armenien, Kasachstan, Kirgisistan und Georgien.
Kirgisistan stach dabei besonders hervor: Die weltweiten und insbesondere die europäischen Exporte in das Land sind seit März 2022 deutlich angestiegen - also kurz nachdem Russland seine Vollinvasion in der Ukraine begann.
Wie nutzt Russland Kirgisistan, um seine Handelsbeziehungen zu Europa aufrechtzuerhalten?
Kirgisistan ist ein kleiner gebirgiger Binnenstaat in Zentralasien. In jüngster Zeit ist er zunehmend in den Fokus der internationalen Vertreter gekommen - aufgrund seiner umfangreichen Handelspartnerschaft mit Russland.
Robert Khachatryan, CEO und Gründer von Freight Right Global Logistics, erklärte gegenüber Euronews: "Kirgisistan hat sich als wichtiger Kanal für Russland erwiesen, um den Handel mit Europa trotz der laufenden Sanktionen aufrechtzuerhalten."
"Kirgisistans Exporte nach Russland sind von 393 Millionen Dollar (352,8 Mio. Euro) im Jahr 2021 auf mehr als 1,07 Milliarden Dollar (0,96 Mrd. Euro) im Jahr 2022 in die Höhe geschnellt, was auf einen erheblichen Anstieg der Handelsaktivitäten hinweist, die es Russland erleichtern, die Sanktionen zu umgehen."
Khachatryan ergänzte: "Das Land hat einen atemberaubenden Anstieg der EU-Ausfuhren um 953 Prozent zu verzeichnen, was in erster Linie seiner strategischen Lage als Transitland zu verdanken ist."
Irina Tsukerman, Präsidentin von Scarab Rising, einem Beratungsunternehmen für Sicherheitsstrategien, sagte gegenüber Euronews: "Eine der effektivsten Möglichkeiten, wie Russland Kirgisistan nutzt, um Sanktionen und Export-Import-Kontrollen zu umgehen, sind Reexporte von Waren."
Die EU und die USA haben Sanktionen gegen Russland verhängt, die zu einer Verschiebung der Handelsstrukturen geführt haben.
"Diese Sanktionen haben Russland den Zugang zu Hightech-Gütern erschwert und die Kosten für Geschäfte mit Russland erhöht. Kirgisistan ist extrem abhängig von Russland und hat nur wenige Alternativen für den Handel. Länder wie Kirgisistan, Kasachstan und Armenien sind zu Drehscheiben für den Reexport von Waren nach Russland geworden. Der Grund dafür ist, dass der Handel innerhalb der Eurasischen Zollunion (EACU) keinen obligatorischen Zolldeklarationen und -kontrollen unterliegt."
Tsukerman erklärte: "Das erleichtert auch den Fluss russischer Waren nach Europa. Die Wiederausfuhr von Fahrzeugen durch Kirgisistan nach Russland hat den russischen Verbrauchern den Zugang zu den neuesten Automodellen erleichtert, was den wirtschaftlichen Schmerz begrenzt und die Wahrscheinlichkeit einer Gegenreaktion gegen Putin verringert hat."
Die geografische Lage Kirgisistans macht es zu einem Transitland für den Warenverkehr zwischen Russland und Europa. Dazu gehört auch die Nutzung der Schienen- und Straßennetze, die diese Regionen miteinander verbinden.
"Russland investiert in Kirgisistan in Infrastrukturprojekte, etwa in den Bereichen Energie und Verkehr, die die Handelsmöglichkeiten verbessern und einen effizienteren Weg für russische Waren nach Europa schaffen können", erklärte Tsukerman.
Zentralasien: Strategisch günstig gelegen zwischen Russland, China und Europa
Vuk Vuksanovic vom außenpolitischen Think Tank der London School of Economics, LSE IDEAS, sagte Euronews: "Kirgisistan entwickelt sich zu einem der wichtigsten Drehkreuze und Knotenpunkte für den Umschlag westlicher Waren nach Russland. Zentralasien ist eine ziemlich logische Route angesichts der strategisch günstigen Geographie der Region, im Dreieck zwischen Russland, China und Europa."
Kirgisistan ist einer von Russlands aufrichtigsten Partnern in der Region. Es ist Mitglied der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion (EAEU) und der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO). Vuksanovic erklärte: "Das Land ist ein Binnenstaat, der stark von Überweisungen aus Russland abhängig ist, die durch den Ukraine-Krieg unterbrochen wurden. Daher war es logisch, dass das Land nach anderen Möglichkeiten Ausschau hielt."
Er sagte aber auch: "Das Problem ist, wenn Kirgisistan sanktioniert wird, wird einfach nur eine neue Route entdeckt werden. Außerdem ist es problematisch, wie man alle sanktionieren kann, die mit Russland Geschäfte machen wollen, da die große Mehrheit der Länder auf der Welt sich den westlichen Sanktionen gegen Russland nie angeschlossen hat."
"Das größte Problem ist, dass dies nicht passieren würde, wenn es nicht immer noch viele westliche Länder, vor allem in Europa, gäbe, die immer noch bereit sind, mit Russland Handel zu treiben und dabei rechtliche und logistische Schlupflöcher zu nutzen."
Dabei gehe es laut Vuksanovic nicht nur um den Kauf russischer Rohstoffe und Ressourcen durch die Europäer, sondern auch um den Verkauf von Technologien und Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, sogenannter Dual-Use-Güter. Der Experte sagt: "Die Europäer sprachen zwar viel von europäischen Werten und der Einheit, viele von ihnen fanden den russischen Markt dennoch attraktiv."
Marius Dubnikovas, Wirtschaftswissenschaftler und Vizepräsident des Litauischen Wirtschaftsverbands, sagte: "Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Jahr 2022 stiegen die Exporte aus Kirgisistan nach Russland um das Dreifache des durchschnittlichen Niveaus vor dem Krieg. Der Handel ist rege und steht wahrscheinlich im Zusammenhang mit den Sanktionen und den Versuchen, diese zu umgehen."
Dubnikovas erklärte: "Der größte Teil des Handels entfällt auf Maschinen, Rohstoffe, Elektronik und elektrische Geräte. Es besteht offenbar die Gefahr, dass auch Produkte mit doppeltem Verwendungszweck aus Europa exportiert oder reexportiert werden."
Welche anderen Länder sind an diesem Handel beteiligt?
Das Brookings Institute nennt Länder wie Deutschland, Polen, Litauen, Italien, Tschechien und Serbien als einige der Länder, deren Exporte nach Kirgisistan nach dem Russland-Ukraine-Krieg stark angestiegen sind. Daher könnten sie möglicherweise weiterhin über Kirgisistan Handel mit Russland treiben.
Diesbezüglich wies Irina Tsukerman, Präsidentin von Scarab Rising, darauf hin: "Deutschland ist sowohl für Russland als auch für Kirgisistan einer der größten Handelspartner in der EU. Deutsche Unternehmen importieren Waren aus Russland, darunter Energieprodukte, Maschinen und Rohstoffe."
Sie ergänzte: "Russland ist mit der Logistik der deutsch-kirgisischen Handelsströme gut vertraut und nutzt diese Lieferketten zu seinem Vorteil, um seine eigenen Produkte nach Deutschland zu bringen. Auch französische Unternehmen investieren stark in den kirgisischen Energie- und Produktionssektor und sind damit ebenfalls an der Dreiecksbeziehung zu Russland beteiligt."
Und auch andere europäische Länder profitieren von Kirgisistan als Handelsdrehkreuz: "Italien treibt offen Handel mit Russland und hat Interessen in Kirgisistan, insbesondere in der Landwirtschaft und im Textilsektor. Luxusgüter aus Italien gelangen über zentralasiatische Länder wie Kirgisistan nach Russland, während einige russische Agrarprodukte wie Getreide und Textilien zusammen mit kirgisischen Produkten nach Italien gelangen."
Außerdem: "Niederländische Unternehmen beteiligen sich häufig an der Logistik und der Erleichterung des Handels und nutzen die Position Kirgisistans für einen breiteren Zugang zu Zentralasien und Russland. Dies gilt selbst dann noch, wenn die niederländische Regierung die Ukraine aktiv aufrüstet."
"Polen unterhält sowohl mit Russland als auch mit Kirgisistan zunehmende Handelsbeziehungen und konzentriert sich dabei auf verschiedene Branchen, darunter Landwirtschaft und Maschinenbau. So gelangen einige der Industrieprodukte aus Russland über Kirgisistan nach Polen, was angesichts der wachsenden Rolle Polens in der europäischen Wirtschaft und des jüngsten wahlkampfbedingten Agrarstreits mit der Ukraine über den Zustrom ukrainischen Getreides nach Polen fast ironisch ist."
Tsukerman fasste zusammen: "Diese und andere Länder nutzen die strategische Lage Kirgisistans, um ihre Handelsrouten zu optimieren und sich Zugang zu Waren aus Russland zu verschaffen, während sie sich auf dem breiteren EU-Markt bewegen."
Welche Produkte werden exportiert?
Die Exporte und Handelsaktivitäten zwischen Russland und Kirgisistan haben in Sektoren wie Technologie, Fahrzeuge, Kosmetika und mehr deutlich zugenommen. Ein reger Handel ist vor allem bei Gütern zu beobachten, die für Russland jetzt schwieriger zu beschaffen sind, wie Fahrzeuge und Panzer.
Michael Ashley Schulman, Partner und Chief Investment Officer von Running Point Capital Advisors, sagte Euronews: "Offiziell und traditionell exportiert Kirgisistan Kupferschrott, Baumwollgarn, gummierte Stoffe und Lebensmittel nach Russland. In jüngster Zeit hat es einen Aufschwung bei Kosmetika, Kleidung, Taschen und Parfüm gegeben."
"Die größte Besorgnis erregt jedoch die Art und Weise, wie Kirgisistan Russland bei der Einfuhr von sanktionierten Gütern hilft, die in Russlands Krieg gegen die Ukraine eingesetzt wurden, sowie von anderen Gütern mit doppeltem Verwendungszweck wie chinesischen und deutschen Autos, Fahrzeugersatzteilen, Kugellagern für Panzer und Eisenbahnwaggons sowie Halbleitern. Schätzungen zufolge verbleiben nur zehn Prozent der in die Kirgisische Republik eingeführten Autos dort."
Schulman sagte: "Hunderte EU-Artikeln sind in der russischen Militärausrüstung gelandet. In einigen Ländern, wie z. B. in Deutschland, hat der Direktverkauf bestimmter Produkte an Kirgisistan seit Beginn des Krieges deutlich zugenommen. Die Verfolgung und Verhängung von Geldstrafen könnte dazu beitragen, diesen Handel einzudämmen."
Zu den Produkten, die Russland weiterhin nach Europa importiert, sagte Tsukerman wiederum: "Russland hingegen steuert seine Energieexporte, vor allem Öl und Gas in verschiedenen Formen, und nutzt Kirgisistan als effektive Handelsdrehscheibe, um die Sanktionen zu umgehen und die fossilen Brennstoffe nach Europa zu bringen."
Tsukerman ergänzte, dass Russland weiterhin landwirtschaftliche Erzeugnisse nach Europa liefere. Darunter seinen Weizen, teilwesie sogar gestohlenes Getreide aus der Ukraine, aber auch verarbeitete Lebensmittel, Getränke und Düngemittel.
"Russland gelingt es sogar, Industrieausrüstungen und Maschinen, darunter auch Fahrzeuge und elektronische Geräte, nach Europa zu bringen. Kirgisistan ist auch ein wichtiges Transitland für Metalle und Mineralien, darunter sowohl Eisen- als auch Nichteisenmetalle wie Aluminium und Kupfer."
Tsukerman fasste zusammen: "Tatsächlich haben die EU-Käufe russischer Metalle seit Beginn des Krieges in der Ukraine im Jahr 2022 zugenommen. Auch Chemikalien gelangen über Kirgisistan und andere zentralasiatische Länder auf die europäischen Märkte, darunter Petrochemikalien."
Warum sind ausgeweitete Sanktionen so schwer, umzusetzen?
Die EU wurde bereits heftig dafür kritisiert, dass sie nicht genug unternimmt, um die Sanktionen gegen Russland durchzusetzen und umzusetzen. Unter den Vorwürfen ist auch der, dass die EU Russland nicht daran hindert, Briefkastenfirmen in anderen Ländern zu gründen und Drittländer nutzt, um weiterhin Handelssanktionen zu umgehen.
Diesbezüglich sagte Michael A. Witt, Professor für internationale Wirtschaft und Strategie an der King's Business School: "Ich denke, die Mechanismen sind ziemlich einfach. Das Standardverfahren wäre die Gründung eines lokalen Unternehmens in einem Drittland, das nicht von den Sanktionen betroffen ist, und die Weiterleitung der Geschäfte über dieses Unternehmen (ggf. mit weiteren Zwischenhändlern)."
Witts Vorschlag diesbezüglich: "Dies könnte verhindert werden, indem man Drittländer denselben Sanktionen unterwirft oder ihnen damit droht. Das Problem ist, dass man sich geopolitisch gesehen aus mehreren Gründen selbst ins Bein schießen könnte. Zum einen würden Sie den Drittstaat noch stärker in das gegnerische Lager treiben. Zum anderen würde man einen Teil des Weltmarktes an die Konkurrenz aus anderen Ländern, insbesondere China, abtreten.
Am Ende würde Russland also größtenteils immer noch das bekommen, was es braucht, nur von einem anderen Lieferanten, und Europa würde gegenüber China, einem geopolitischen Rivalen, an wirtschaftlicher Macht verlieren."
"Bei wirklich sensiblen Gütern muss man natürlich strenge Ausfuhrbeschränkungen einführen - entweder gar keine Ausfuhr (F22) oder sehr strenge Kontrollen (ASML). Aber für Dinge wie Haushaltsgeräte, deren Chips für militärische Zwecke umfunktioniert werden können, sind die Möglichkeiten sehr begrenzt", erläuterte Witt.
"Natürlich kann man auch einzelne Unternehmen, die Dinge in Drittländer importieren, auf eine schwarze Liste setzen. Aber in dem Moment, in dem man das tut, wird Russland einfach andere Unternehmen gründen, die das Gleiche tun."
Was kann die EU tun, um diesen Handel zu stoppen?
Tsukerman schlug vor: "Der erste Schritt ist natürlich, mit der EACU zusammenzuarbeiten, um die Schlupflöcher in den Zollbestimmungen und Verbrauchssteuerabkommen zu schließen, die die Umgehung von Sanktionen begünstigen. Die zentralasiatischen Länder sind bestrebt, ihre Volkswirtschaften und Handelspartnerschaften zu diversifizieren;
der Aufbau effektiver Transitpunkte für Öl, der Verzicht auf Zölle und das Drängen auf verstärkte europäische Investitionen und Handelsabkommen sollten von der Durchsetzung der Sanktionspolitik und der Vermeidung der Nutzung des internen Freihandels als Mechanismus zur Erleichterung von mit Russland verbundenen Transaktionen und Finanzgeschäften abhängig gemacht werden."
"Zweitens sollten europäische Unternehmen, die an der Umgehung von Sanktionen beteiligt sind, bestraft werden und ihre Geschäfte in Europa verlieren. Darüber hinaus sollte es mehr Transparenzmechanismen geben, um zu verhindern, dass staatliche Stellen implizit oder explizit solche Beziehungen erleichtern", ergänzte Tsukerman.
"Aktive Ressourcen sollten für die Durchsetzung der Sanktionen und die Verhaftung von russischen Waren, die in die EU gelangen, oder von Fahrzeugen, die durch Kirgisistan fahren, eingesetzt werden. Gleichzeitig sollte eine strengere Durchsetzung gegen kirgisische Beamte, Oligarchen und Unternehmensinsider Priorität haben, um es Kirgisistan zu erschweren, von der Förderung illegaler Beziehungen und Transaktionen zu profitieren."
Dubnikovas aus Litauen sagte schließlich: "Es gibt mehr als zehn verschiedene Sanktionslisten, so dass die Hauptaufgabe darin besteht, deren Effizienz zu kontrollieren. Es scheint, dass es nicht ausreicht, den Warenverkehr zu kontrollieren, sondern dass den Geldtransfers und den Begünstigten mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss."