Newsletter Newsletters Events Veranstaltungen Podcasts Videos Africanews
Loader
Finden Sie uns
Werbung

AfD überholt Union: Wie viel Macht könnte sie im Bundestag gewinnen?

Auf diesem Foto vom Dienstag, 7. Mai 2019, nimmt Alice Weidel, Co-Fraktionsvorsitzende der Partei Alternative für Deutschland (AfD) im Deutschen Bundestag.i
Auf diesem Foto vom Dienstag, 7. Mai 2019, nimmt Alice Weidel, Co-Fraktionsvorsitzende der Partei Alternative für Deutschland (AfD) im Deutschen Bundestag.i Copyright  AP Photo
Copyright AP Photo
Von Franziska Müller
Zuerst veröffentlicht am
Diesen Artikel teilen Kommentare
Diesen Artikel teilen Close Button

Der Umgang mit der AfD im Bundestag ist weiterhin noch ungeklärt. Sie ist die stärkste Partei in jüngsten Umfragen und zweitstärkste Kraft im Bundestag. Doch wie viel Handlungsspielraum hat sie? Experten ordnen ein.

WERBUNG

Die Alternative für Deutschland (AfD) ist so beliebt wie noch nie. Eine Umfrage des Forschungsinstituts Forsa hat am vergangenen Sonntag ergeben, dass 26 Prozent der Befragten die AfD wählen würden, wäre demnächst Bundestagswahl.

Damit liegt die Partei sogar vor der Union (25 Prozent) und der SPD (15 Prozent) – den Parteien der kommenden Koalition.

Aus der diesjährigen Bundestagswahl ist die AfD als zweitstärkste Kraft hervorgegangen. Jeder vierte Deutsche hat auf dem Wahlzettel ein Kreuz bei der rechtspopulistischen Partei gemacht. In Teilen gilt sie als gesichert rechtsextrem.

Jens Spahns Vorstoß, das Verhältnis zur AfD zu normalisieren, hat weitreichende Wellen geschlagen. Die SPD, die gemeinsam mit der Union die neue Koalition bilden soll, mahnt zum vorsichtigen Umgang mit der AfD. Auch die Grünen warnen, während sich die Union uneins zeigt, jedoch größtenteils hinter Spahn steht.

Wie ist mit einer Partei umzugehen, die anti-demokratische Werte vertritt und dennoch die zweitgrößte Fraktion im Bundestag stellt? Zwei Politikwissenschaftler ordnen ein.

Umgang mit der AfD: Das sagen Experten

Dr. Benjamin Höhne, der zu Parteien und Populismus forscht und Vertretungsprofessor für Europäische Regierungssysteme im Vergleich an der TU Chemnitz ist, erklärt: Die AfD verfüge seit der letzten Wahl zwar über mehr Bundestagsabgeordnete und Ressourcen, „politisch im engeren Sinne bleibt sie jedoch machtlos, da der deutsche Cordon Sanitaire weiterhin steht“, sagte er gegenüber Euronews.

Der Cordon Sanitaire, auch Brandmauer genannt, bildet eine Art Sperrgürtel der Konservativen, Linken und Liberalen gegenüber der AfD. Bei einer Abstimmung kurz vor der Wahl ist CDU-Chef Friedrich Merz dies bereits auf die Füße gefallen.

Für das umstrittene „Zustrombegrenzungsgesetz“ hatten CDU/CSU mit Stimmen der AfD die Mehrheit im Bundestag erhalten. Letztlich scheiterte der Gesetzesentwurf – die Debatte über einen möglichen Tabubruch aber war eröffnet.

„Die Kompromisssuche von mehreren Parteien über traditionelle ideologische Grenzen hinweg stellt eine Herausforderung dar“, beschreibt Höhne das demokratische System. „Politik ist jedoch immer auch eine Abwägung, die sich bislang gegen eine direkte Normalisierung von Rechtsaußengedankengut stemmt.“

Die AfD sollte sich fragen, warum keine der anderen Parteien mit ihr zusammenarbeitet, anstatt den Miesepeter zu mimen.
Dr. Benjamin Höhne
Politikwissenschaftler und Vertretungsprofessor für Europäische Regierungssysteme im Vergleich

Eine Zusammenarbeit zwischen „der Linkspartei, die einen konsequent progressiven Kurs einschlagen kann, und der AfD, die mehr und mehr ins Rechtsextreme abzudriften scheint“, erwartet Höhne nicht.

Für die AfD gelten grundsätzlich dieselben Regeln wie für alle anderen Parteien im parlamentarischen Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, betont auch Dr. Werner Reutter, Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Sein Forschungsschwerpunkt liegt unter anderem auf der Justizialisierung – dem Einfluss von Gerichtsentscheidungen auf die Politik.

Selbst wenn die AfD noch mehr Unterstützung in der Bevölkerung erhielte, „ändert das an ihrer rechtlichen Position erst einmal nichts“. Erst wenn eine Partei mehr als ein Viertel (mindestens 25 Prozent) der Bundestagsmandate stellt, erhält sie zusätzliche Mitwirkungsrechte im Parlament. „Dann kann sie etwa einen Untersuchungsausschuss beantragen oder eine abstrakte Normenkontrolle beim Bundesverfassungsgericht anstoßen.“ Bei der Bundestagswahl 2025 kam die AfD jedoch nur auf 20,6 Prozent.

Die Handlungsfähigkeit der Regierung sieht Reutter dadurch nicht gefährdet. Nur einige Entscheidungen benötigen eine Zwei-Drittel-Mehrheit, etwa die Wahl von Bundesverfassungsrichtern – und diese sei nach wie vor abgesichert.

„Die schwarz-rote Koalition hätte eine Mehrheit und könnte ihre Regierungsprogramme umsetzen“, so Reutter. „Die AfD sollte sich fragen, warum keine der anderen Parteien mit ihr zusammenarbeiten will, anstatt den Miesepeter zu geben“, kommentiert Höhne.

Könnte die AfD einen Ausschussvorsitz übernehmen?

Die Debatte, die CDU-Politiker Jens Spahn angestoßen hat, betrifft auch die Vergabe von Ämtern wie etwa einem Ausschussvorsitz an die AfD. Der konservative Flügel erwägt, der Partei künftig solche Posten nicht mehr grundsätzlich zu verweigern.

Ausschüsse bereiten Beschlussvorlagen für den Bundestag vor, indem sie mit externen Experten zusammenarbeiten, ausführliche Beratungen führen und die Fachkompetenz ihrer Mitglieder einbringen. Die Vorsitzenden leiten die Sitzungen und beeinflussen so indirekt die Meinungsbildung.

„Mit dem Ausschussvorsitz ist eine erhöhte öffentliche Wahrnehmung verbunden, sodass man sich staatstragend geben kann, obwohl man hinter den Kulissen an der Staatszersetzung arbeitet“, so Höhne.

Besonders das Parlamentarische Kontrollgremium sei sensibel. „Es wäre absurd, zu sagen, dort sollten auch Vertreter der AfD sitzen, die womöglich vom Verfassungsschutz beobachtet werden“, argumentiert Reutter. „Insoweit sehe ich es als demokratietheoretisch vertretbare Position, zu sagen: In diesen Ausschüssen können sie nicht vertreten sein.“

Nach deutschem Verfassungsrecht wird der Bundestag demokratisch gewählt. Alle Abgeordneten sind jedoch ihrem eigenen Gewissen unterworfen. „Der Bundestag ist verpflichtet, seine Aufgaben zu erfüllen – unabhängig von den konkreten Mehrheitsverhältnissen. Das liegt in der Verantwortung der Abgeordneten“, erklärte Reutter.

AfD in Teilen gesichert rechtsextrem: Laut Kiesewetter „Sicherheitsgefahr für Deutschland“

Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter sprach von einer „Sicherheitsgefahr für Deutschland“, sollte die AfD in Gremien oder Ausschüssen den Vorsitz übernehmen. Höhne sieht diese Bedenken als gerechtfertigt – „allein, wenn man die Einschätzungen der Verfassungsschutzämter einiger Bundesländer ernst nimmt“.

In Sachsen sowie in Sachsen-Anhalt und Thüringen gilt die AfD als gesichert rechtsextrem – das haben die jeweiligen Landesämter für Verfassungsschutz festgestellt. In fünf weiteren Bundesländern wird sie als rechtsextremer Verdachtsfall geführt. Auf Bundesebene stuft der Verfassungsschutz die gesamte Bundes-AfD ebenfalls als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Eine Klage der Partei gegen diese Einstufung wurde vom Oberverwaltungsgericht Münster abgewiesen.

Auf Landesebene habe die Partei allerdings bereits Mitwirkungs- und Vertretungsrechte gewonnen und sei größer geworden, sagte Reutter Euronews. In einigen Ländern – etwa Thüringen oder Sachsen – ist die AfD bereits „im Routinegeschäft des politischen Betriebs“ angekommen.

Diese Entwicklung auf Landesebene sowie das Erstarken auf Bundesebene führten laut Reutter zu einer Normalisierung: „weil sie dort Positionen einnimmt, die sie früher nicht hatte, und so auch an parlamentarischen Entscheidungsprozessen mitwirken muss.“

Genau hier werde der AfD häufig vorgeworfen, anti-pluralistisch zu agieren. „Sie stellt sich als alleinige Vertreterin des ‚einfachen Mannes‘ dar und untergräbt die politische Daseinsberechtigung ihrer Mitbewerber“, so Höhne. „Es kann keinen Zweifel geben, dass Rechtsaußenparteien langfristig eine autoritäre und rückwärtsgewandte Agenda verfolgen.“

Zwar werde die AfD demokratisch gewählt, doch das mache sie noch lange nicht zu einer demokratischen Partei, so auch Reutter. „Sie lehnt zentrale Institutionen und den Verfassungskonsens, der in der Bundesrepublik bisher galt, weitgehend ab. Deshalb würde ich sagen: Das ist keine demokratische Partei.“ Ihr Verhalten im Parlament sei destruktiv.

Zu den Barrierefreiheitskürzeln springen
Diesen Artikel teilen Kommentare

Zum selben Thema

Sonntagsfrage-Schock – AfD laut Umfrage auf Rekordhoch

Scharfe Kritik an Jens Spahns Vorschlag, das Verhältnis zur AfD zu normalisieren

Rückschlag für Merz: AfD zieht in Umfrage erstmals mit der Union gleich