Obdachlosigkeit beenden? Finnland weiß wie's geht

Obdachloser mit einem Schild "Schau nie auf jemanden herab, es sei denn, du hilfst ihm, aufzustehen"
Obdachloser mit einem Schild "Schau nie auf jemanden herab, es sei denn, du hilfst ihm, aufzustehen" Copyright Quinn Kampschroer/Pixabay
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Von Chris Harris
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Regierungen in ganz Europa suchen nach passenden Strategien, um allen Menschen in ihrem Land ein Dach über dem Kopf zuzusichern. Ein Land will nun die universelle Lösung gefunden haben.

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Regierungen in ganz Europa kämpfen gegen die zunehmende Obdachlosigkeit - alle bis auf eine. Experten zufolge hat Finnland das Problem auf seinen Straßen so gut wie gelöst.

Laut der Statistik des Finnischen Zentrums für Wohnungsfinanzierung und Entwicklung galten 1987 mehr als 18.000 Menschen als obdachlos. Bis 2016 war diese Zahl auf 7.000 gesunken. Davon lebten die meisten vorübergehend bei Freunden oder Verwandten, anstatt auf der Straße zu schlafen.

Doch wie hat das nordische Land das geschafft?

Wohnraum zur Verfügung stellen

Es klingt nach einer offensichtlichen Lösung für das Problem der Obdachlosigkeit. Die finnische Politik hat jedoch eine gewisse Nuance.

In vielen Ländern erhalten wohnungslose Menschen in der Regel erst dann eine Wohnung, wenn die Probleme, die sie überhaupt erst auf die Straße gebracht haben, gelöst oder behandelt wurden. Das können finanzielle, gesundheitliche oder Suchtprobleme sein.

In Finnland gibt es jedoch eine Initiative "Wohnen zuerst", bei der wohnungslose Menschen unabhängig von ihren Fortschritten eine dauerhafte Unterkunft erhalten.

"Notunterkünfte schützen vor dem Sturm, aber um ein ordentliches Leben zu führen, braucht man ein Zuhause", sagte Juha Kaakinen, Geschäftsführer der Y-Stiftung, gegenüber Euronews.

"Man braucht eine Wohnung, das ist ein grundlegendes Menschenrecht, und dann kann man seine Probleme mithilfe von Fachleuten lösen.

Obdachlosenheime abschaffen

Finnland hat seinen Wohnungsbestand massiv aufgestockt - teilweise subventioniert - um die Menschen von der Straße zu holen.

Gleichzeitig wurde die Zahl der temporären Obdachlosenunterkünfte massiv reduziert.

Im Jahr 2008 gab es in Helsinki 558 Wohnheime und Unterkünfte. Im Jahr 2016 waren es nur noch 52. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der geförderten Wohneinheiten und unabhängigen Mietwohnungen in der finnischen Hauptstadt von 2.585 auf 3.742 gestiegen.

"Obdachlosenunterkünfte sind ziemlich teuer geworden", sagte Freek Spinnewijn, Direktor der Europäischen Föderation der nationalen Organisationen, die mit Obdachlosen arbeiten (FEANTSA). "Die Leute neigen dazu, zu denken, dass Unterkünfte unterbesetzt und daher billig sind."

"Aber wenn man in einem Heim ist, hat man eher Kontakt zu Polizei und Justiz. Menschen, die in einer Unterkunft leben, haben oft gesundheitliche Probleme warten, bis es unerträglich ist und in Notfall-Krankenhäusern oder in der Notfall-Psychiatrie enden. Das ist dann sehr teuer."

"Diese Dienste wollen die Leute vielleicht nicht entlassen, weil sie wissen, dass sie sie auf die Straße entlassen. Also verlängern sie künstlich ihren Aufenthalt in sehr teuren Diensten."

"Wenn man also alle Kosten zusammennimmt - in Ländern mit qualitativ hochwertigen Unterbringungssystemen - stellt die Bereitstellung von Wohnraum mit staatlicher Hilfe zunächst einmal die gleichen Kosten, wenn nicht weniger Kosten, dar."

Abwägung der Kosten

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"Es ist schwierig, eine Kosten-Nutzen-Analyse zu machen, aber wenn man mit den Menschen in Finnland spricht, werden sie einem mit der Zeit sagen, dass [das neue System] sicher nicht teurer ist", sagte Spinnewijn zu Euronews. "Aber man braucht zusätzliche Investitionen, um den Übergang von den Heimen zu den Wohnungen zu schaffen."

"Doch einige Ergebnisse zeigen, dass wenn ein Obdachloser mit Unterstützung eine ordentliche Wohnung bekommt, die Kostenersparnis für die Gesellschaft 15.000 Euro pro Person und Jahr beträgt", fügte Kaakinen hinzu, dessen Stiftung mit finnischen Städten bei der Bekämpfung der Obdachlosigkeit zusammenarbeitet.

Es sei schwer zu verstehen, warum sich andere Länder und Gemeinden nicht anschließen. "Jeder, der ein wenig recherchiert, weiß, dass es möglich ist. Es ist keine Frage des Geldes, denn es spart Geld für die Gesellschaft. Es ist nicht zu teuer", so Kaakinen.

Langfristige Unterstützung von der Regierung

Kaakinen sieht das Erfolgsrezept Finnlands in der allgemeinen und übergreifenden Unterstützung.

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"Es hat einen breiten politischen Konsens gegeben", sagte er. Man wolle keinen aus der Gesellschaft ausschließen. "Finnland ist ein kleines Land, also müssen alle in die Gesellschaft eingebunden werden."

Das Land hat sich 2008 erstmals ernsthaft mit der Bekämpfung der Wohnungslosigkeit beschäftigt und selbst Regierungswechsel haben Finnland nicht vom Kurs abgebracht.

"In Finnland war es eine nationale Anstrengung: Staatliche Ministerien, Großstädte und NGOs haben alle zusammen gearbeitet, um die Obdachlosigkeit zu reduzieren", fügte Kaakinen hinzu.

Das sei etwas, das in vielen anderen Ländern fehle.

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