Corona-Impfstoff: China eilt Serbien zu Hilfe, hat das COVAX-Programm der EU versagt?

Serbische Soldaten warten auf die Impfung mit chinesischen Corona-Impfstoff Sinofarm
Serbische Soldaten warten auf die Impfung mit chinesischen Corona-Impfstoff Sinofarm Copyright AP Photo
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Von Stefan Goranovi´c
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Im Gegensatz zu anderen Ländern auf dem Balkan hat Serbien auch Corona-Impfstoffe aus China und Russland bestellt. Eine Strategie, die aufzugehen scheint, denn die EU-Bestellung lässt auf sich warten.

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Mit einem Stück Papier, auf dem ein QR-Code steht - der Nachweis, dass sie zu einer COVID-19-Impfung eingeladen wurde - hat sich Marija Lazarević am Mittwoch auf den Weg zu Gesundheitszentrum in ihrem Ort gemacht, um die erste von zwei Corona-Impfungen zu erhalten.

Die 78-jährige Rentnerin aus Veliko Gradište, einer serbischen Kleinstadt am Ufer der Donau, gehörte zu den ersten von mehr als einer halben Million Menschen in Serbien, die mit dem chinesischen Sinofarm-Impfstoff geimpft werden sollen.

"Ich fühle mich gut, glücklich", sagte sie. "Eigentlich froh, weil ich nach einem Jahr der Isolation zu meinem normalen Leben zurückkehren kann. Ich werde in der Lage sein, meine Kinder und Enkelkinder zu sehen und mich zu entspannen! Das geht schon viel zu lange so. Ich habe seit März keinen einzigen Bekannten mehr gesehen."

Zusammen mit 400.000 anderen Bürgern Serbiens beantragte Marija eine Impfung über die Online-Plattform der Regierung.

in Veliko Gradište
Marija Lazarević (rechts) wartet auf ihre Corona-Impfungin Veliko Gradište

Drei verschiedene Impfstoffe sind bereits von der Arzneimittelbehörde des Landes zugelassen worden (Pfizer/BioNTech, Sinofarm und Sputnik V), zwei weitere warten noch auf ihre Zulassung (Moderna und Oxford-AstraZeneca). Die Bürger können sich sogar aussuchen, welchen sie haben möchten.

Welcher Impfstoff ist der beste?

"Ich weiß, dass es eine Menge Debatten um die Impfstoffe gibt. Ich habe in den Zeitungen gelesen, dass der russische der beste ist, aber ich habe keine bestimmte Impfung angefordert. Es spielt für mich keine Rolle. Unter anderen Umständen würde ich mich für den Impfstoff entscheiden, der aus dem Westen kommt - der von Pfizer oder Oxford - aber ich wollte einfach die Isolation beenden und konnte nicht warten. Ich schätze, dass dieser chinesische auch in Ordnung ist", sagte Lazarevic gegenüber Euronews.

Die Herkunft des Impfstoffs ist unter den Serben ein Diskussionsthema, vor allem, weil der russische und der chinesische in Europa keine Zulassung hat.

Aber während das Land darauf wartete, wenigstens ein paar Impfdosen aus dem COVAX-Programm der EU zu bekommen, landete ein Flugzeug aus China in Belgrad - an Bord: eine Million Impfdosen.

Büro des Präsidenten von Serbien, Dimitrije Goll
Präsident Vucic wartet auf der Rollbahn des Belgrader Flughafens auf die Lieferung chinesischer Impfstoffe in Begleitung der chinesischen Botschafterin in Serbien, Chen BoBüro des Präsidenten von Serbien, Dimitrije Goll

Zwei Tage später war der Impfstoff zugelassen, und der erste, der sich vor laufenden Fernsehkameras impfen ließ, war Serbiens Gesundheitsminister Zlatibor Lončar. "Diese Impfstoffe sind effizient und sicher", sagte er, während er seine Impfung bekommt.

Wegen der geringen Anzahl der Impfstoffe aus dem Westen sind chinesische und russische Impfstoffe jetzt fast die einzige Option für die meisten Menschen in Serbien.

Die guten Beziehungen des Landes zu Peking und Moskau scheinen sich zum zweiten Mal in dieser Pandemie auszuzahlen. Bereits im März des vergangenen Jahres, als die EU die Ausfuhr von medizinischen Hilfsgütern in Beitrittsländer zur EU verbot, landeten mehrere Flugzeuge aus China in Belgrad und brachten dringend benötigte Schutzausrüstung und Atemschutzmasken, einige davon als Spende.

Solidarität der EU ist ein "Märchen"

Damals wetterte der serbische Präsident Alexandar Vucic gegen die EU und nannte die Solidarität des Blocks "ein Märchen". Auf Plakaten mit dem Foto des chinesischen Staatschefs Xi Jinping in Belgrad war zu lesen: "Thank you, brother Xi!"

Dieses Mal erklärte der Präsident: "Serbien hat 2 Millionen Euro für die Entwicklung des Impfstoffs gespendet. Unser Beitrag zu den gemeinsamen europäischen Bemühungen, die Forschung zu unterstützen und die Krise zu beenden, war nicht nur symbolisch. Wir waren die ersten aus der Region, die tatsächlich Geld für das COVAX-Programm gegeben haben, das spezielle EU-Programm, durch das wir auch einige Impfstoffe bekommen sollten. Wir haben bis heute keine erhalten. Alles, was wir bis jetzt bekommen haben, wurde bilateral erworben."

Russland und China helfen Serbien aus der Bredouille

Durch die jüngste Lieferung von einer Million Dosen war Serbien das erste und bisher einzige Land in Europa, das eine solche Menge des chinesischen Impfstoffs erhielt. Mehr als 250.000 Dosen des russischen Sputnik V-Impfstoffs wird in den kommenden Tagen eintreffen, so die offizielle Ankündigung.

Obwohl ein Teil der Impfungen mit dem Pfizer/BioNTech-Impfstoff schon früher begonnen hat, ist das Massenimpfprogramm erst diese Woche angelaufen. Euronews hat von der Regierung die Zusage erhalten, dass der Großteil der Impfungen bis Ende Juni verteilt sein wird, wie zuvor von Ministerpräsidentin Ana Brnabić angekündigt.

Die Regierung bekräftigte ebenfalls, dass Serbien noch immer daran interessiert ist, Impfstoffe von westlichen Herstellern zu kaufen, allerdings wurden keine Einzelheiten zu der Abmachung genannt.

Im restlichen Teil der Region wird die Frustration größer. Albaniens Ministerpräsident Edi Rama konnte nur ein paar hundert Impfdosen über bilaterale Abkommen erreichen. Er beschuldigte die EU, "nur an sich selbst zu denken".

Serbiens Nachbarland Nordmazedonien wartet immer noch auf seinen Anteil an COVAX-Impfstoffen, und die erste Lieferung, die das Land erreichen wird, kommt aus Serbien. 8.000 Dosen sind ein Bruchteil aus Serbiens "chinesischer Lieferung", die zum Einkaufspreis weitergeleitet wird.

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Schlechte Beziehungen und enttäuschte Erwartungen?

Der Chefredakteur der Zeitung Nezavisen Vesnik, Ljuoco Popovski, sagte gegenüber Euronews, dass Belgrads Entscheidung den Impfstoff zu teilen gut für die Solidarität zwischen den Nachbarländern ist, die beide Kandidaten für die EU-Mitgliedschaft sind, in einer Zeit, in der die Erwartungen aus Brüssel etwas enttäuscht wurden.

"Die EU hat den Westbalkan vergessen. Wir hören eine Menge Erklärung darüber, wie sie helfen -, wie sie 70 Millionen Euro geben werden, aber das passiert einfach nicht. Ich denke, dass die Situation das Vertrauen in die EU in der gesamten Region verringert. Wenn sie so weitermachen, wird die Unterstützung für die EU schwinden, sogar in Nordmazedonien, wo sie traditionell recht hoch ist. Denn die Menschen sehen jetzt, dass sie als Bürger zweiter Klasse behandelt werden", meint Popovski.

Während Bosnien und Herzegowina mit der Pandemie kämpft und den Berichten der Medienkorrespondenten in Brüssel zufolge länger auf Impfstoffe warten müsse, wächst die Frustration.

"In einigen anderen Ländern können die Menschen bereits wählen, welchen Impfstoff sie wollen, sie können den Hersteller auswählen, also ob sie Pfizer, Moderna, den chinesischen oder den russischen wollen, während wir hier in Bosnien auf eine einzige Schachtel Impfstoffe aus dem COVAX-Programm warten", sagt Ednan Drljevic, ein Infektiologe aus Sarajevo, gegenüber Euronews.

"Es ist eine Schande", sagte Drljevic. "Israel hat bereits anderthalb Millionen Menschen geimpft! Es ist eine Ungerechtigkeit und wir fühlen uns frustriert und unzufrieden und wir wissen nicht, wie lange wir den Druck noch aushalten können."

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Auch Montenegro weiß nicht, wann es mit den ersten Impfungen loslegen kann.

Mangelnde Solidarität: Eine Frage der Wahrnehmung?

Experten sagen, dass der Mangel an Solidarität aus Brüssel eher eine Frage der Wahrnehmung als der Tatsache ist. In einem Interview mit Euronews sagte Nemanja Todorovic, Chefredakteur des europäischen Westbalkan-Portals, das sich auf die EU-Integration spezialisiert hat, dass die Krise eher eine "ungeschickte" Kommunikation zwischen Brüssel und der Region als eine wirkliche Vernachlässigung offenbart habe.

Die EU hat das bei weitem größte Hilfspaket für die Region nach dem Ende der Pandemie bereitgestellt, aber in der Praxis möglicherweise verpasst, China und Russland in den Schatten zu stellen.

"Der Schlüssel war, die Region einzubeziehen und so zu kommunizieren, dass die Länder das Gefühl haben, an einer gemeinsamen Anstrengung zur Beschaffung der Impfstoffe beteiligt zu sein", sagte Todorovic.

"Stattdessen sehen wir, dass für die Länder, die sich allein auf die EU verlassen haben, um die Impfstoffe zu bekommen, wie Montenegro, Bosnien und Herzegowina und Nordmazedonien, der Impfstart immer unsicherer wird. Die politischen Eliten der betroffenen Länder auf dem Westbalkan werden diese Gelegenheit nutzen, um damit ihr mangelndes Engagement für die europäische Integration zu rechtfertigen. Das kann einen irreversiblen negativen Einfluss auf die öffentliche Unterstützung für ihre Zukunft in der EU haben", warnte er und fügte hinzu, dass die Folgen der Krise über die gesundheitlichen Belange hinausgehen und auch im politischen Bereich liegen.

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Stefan Goranovic ist Journalist bei unserem Schwestersender Euronews Serbien.

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