Norwegen: Immer mehr verdächtige Drohnen über Offshore-Anlagen gesichtet

Blick auf den Flugsicherungsturm des Flughafens Flesland. Eine Drohne sorgte Tage zuvor für die Unterbrechung des Flugverkehrs in Norwegens zweitgrößter Stadt.
Blick auf den Flugsicherungsturm des Flughafens Flesland. Eine Drohne sorgte Tage zuvor für die Unterbrechung des Flugverkehrs in Norwegens zweitgrößter Stadt. Copyright Marit Hommedal/Marit Hommedal / NTB
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Von euronews, ap
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Die Ängste wachsen vor russischer Spionage - es kam zu mehreren Festnahmen

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Unidentifizierte Drohnen am Himmel über der Nordsee sorgen in Oslo für Unruhe. Die Sorge wächst, dass der Kreml seine Offshore-Anlagen ins Visier nehmen könnte, um seine Konkurrenz einzuschüchtern.

Da Norwegen Russland als Europas wichtigste Erdgasquelle ablöst, vermuten Militärexperten, dass die unbemannten Flugzeuge von Moskau gesteuert werden. Im vergangenen Monat hatte Oslo deswegen die Sicherheitsvorkehrungen an solchen Standorten nach der mutmaßlichen Sabotage der Nord-Stream-Gaspipeline in der Ostsee verschärft.

In den letzten Monaten wurden zahlreiche Drohnen in der Nähe von Offshore-Öl- und Gasplattformen und anderen norwegischen Infrastrukturen gesichtet. Sie nennen Spionage, Sabotage und Einschüchterung als mögliche Motive für die Drohnenflüge. Nun hat die norwegische Behörde für innere Sicherheit die Untersuchung von Drohnensichtungen in der Nähe wichtiger Infrastrukturen übernommen. 

Mehrere russische Bürger wurden wegen Spionageverdacht schon festgenommen - unter anderem der Sohn des ehemaligen russischen Eisenbahnchefs und Putin-Vertrauten Wladimir Jakunin. Die PST (Spionageabwehr) leitet die Ermittlungen. 

Laut norwegischen Ministerpräsident Jonas Gahr Støre sehen sie Hinweise, "dass Russland bei seinen Spionageaktivitäten mehr Risiken eingeht. Wir sollten also nicht überrascht sein, wenn es in nächster Zeit zu weiteren Verhaftungen kommt."

Die norwegische Regierung hat Kriegsschiffe, Schiffe der Küstenwache und Kampfflugzeuge entsandt, um die Offshore-Anlagen zu überwachen. Weiters stationierte die norwegische Nationalgarde Soldaten um die Raffinerien an Land, die ebenfalls von Drohnen überflogen wurden.

Ministerpräsident Jonas Gahr Støre hat die Flotten der NATO-Verbündeten - Frankreich, Deutschland und Großbritannien - eingeladen, sich an der Lösung dieses Problems zu beteiligen, das mehr als nur ein norwegisches Problem sein könnte.

Nur wenig von dem Offshore-Öl, das Norwegen enorme Einnahmen beschert, wird von den 5,4 Millionen Einwohnern des Landes genutzt. Stattdessen versorgt es weite Teile Europas mit Energie. Erdgas ist ein weiterer Rohstoff von kontinentaler Bedeutung.

"Der Wert des norwegischen Gases für Europa war noch nie so hoch wie heute", sagt Ståle Ulriksen, Forscher an der Königlich Norwegischen Marineakademie. "Als strategisches Sabotageziel sind die norwegischen Gaspipelines wahrscheinlich das wertvollste Ziel in Europa."

Russische Forschungsschiffe oder "Spionageschiffe"?

Die Schließung von Flughäfen und die Evakuierung einer Ölraffinerie und eines Gasterminals in der vergangenen Woche aufgrund von Drohnensichtungen führten zu massiven Beeinträchtigungen.

Angesichts des nahenden Winters in Europa ist man jedoch besorgt, dass die Drohnen eine größere Bedrohung für die 9.000 Kilometer langen Gaspipelines darstellen könnten, die von den norwegischen Seeplattformen zu den Terminals im Vereinigten Königreich und auf dem europäischen Festland führen.

Seit Beginn des Krieges in der Ukraine Ende Februar haben sich die Länder der Europäischen Union darum bemüht, ihre russischen Gasimporte durch Lieferungen aus Norwegen zu ersetzen.

Die mutmaßliche Sabotage der Nordstream-I- und -II-Pipelines in der Ostsee im vergangenen Monat geschah einen Tag bevor Norwegen eine neue Ostseepipeline nach Polen eröffnete.

Amund Revheim, Leiter der Gruppe Nordsee und Umwelt bei der norwegischen Südwestpolizei, sagte, sein Team habe mehr als 70 Offshore-Arbeiter befragt, die Drohnen in der Nähe ihrer Anlagen gesichtet hätten.

"Die Arbeitsthese lautet, dass sie von Schiffen oder U-Booten in der Nähe gesteuert werden", so Revheim.

Geflügelte Drohnen haben eine größere Reichweite, aber die Ermittler hielten die Sichtung eines hubschrauberähnlichen Modells mit Flügeln in der Nähe der Sleipner-Plattform, die sich in einem Nordsee-Gasfeld 250 Kilometer von der Küste entfernt befindet, für glaubwürdig.

Die norwegische Polizei hat eng mit militärischen Ermittlern zusammengearbeitet, die den Schiffsverkehr analysieren. Einige Plattformbetreiber haben berichtet, dass sie Forschungsschiffe unter russischer Flagge in unmittelbarer Nähe gesehen haben.

Revheim sagte, es sei kein Muster im legalen Schiffsverkehr festgestellt worden, und er sei besorgt, dass die Arbeiter unnötig beunruhigt werden könnten.

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Ulriksen von der Marineakademie sagte jedoch, dass die Unterscheidung zwischen russischen zivilen und militärischen Schiffen sehr eng sei und dass die gemeldeten Forschungsschiffe durchaus als "Spionageschiffe" bezeichnet werden könnten.

Russland schlägt zurück und bezeichnet Oslos Bedenken als "Paranoia"

Die Verhaftung von mindestens sieben russischen Staatsangehörigen, die beim Mitführen oder illegalen Fliegen von Drohnen über norwegischem Hoheitsgebiet erwischt wurden, hat die Spannungen erhöht.

Am Mittwoch, dem gleichen Tag, an dem eine Drohnensichtung Flugzeuge in Bergen, der zweitgrößten Stadt Norwegens, am Boden hielt, übernahm der norwegische Polizeisicherheitsdienst den Fall von den örtlichen Beamten.

"Wir haben die Ermittlungen übernommen, weil es unsere Aufgabe ist, Spionage zu untersuchen und die Sanktionsregeln gegen Russland durchzusetzen", sagte Martin Bernsen, ein Beamter des Dienstes mit dem norwegischen Kürzel PST.

Er sagte, dass die "Sabotage oder mögliche Kartierung" der Energieinfrastruktur ein ständiges Anliegen sei.

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Ministerpräsident Støre warnte, dass Norwegen gegen ausländische Geheimdienste vorgehen werde. "Es ist nicht akzeptabel, dass ausländische Geheimdienste Drohnen über norwegischen Flughäfen fliegen. Russen dürfen in Norwegen keine Drohnen fliegen", sagte er.

Die russische Botschaft in Oslo schlug am Donnerstag zurück und behauptete, Norwegen erlebe eine Form von "Psychose", die "Paranoia" verursache.

Ein Forscher der Marineakademie glaubt, dass dies wahrscheinlich Teil des Plans ist.

"Mehrere der Drohnen wurden mit eingeschaltetem Licht geflogen", sagte er. "Sie sollen beobachtet werden. Ich denke, es ist ein Versuch, Norwegen und den Westen einzuschüchtern".

Man befürchtet, dass die Drohnen Teil einer hybriden Strategie sind, die darauf abzielt, den Westen einzuschüchtern und Informationen über lebenswichtige Infrastrukturen zu sammeln, die später bei einem möglichen Angriff auf den Westen zur Sabotage genutzt werden könnten.

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"Ich glaube nicht, dass wir auf einen konventionellen Krieg mit Russland zusteuern", sagte Ulriksen. "Aber ein hybrider Krieg ... ich glaube, wir befinden uns bereits in diesem Krieg".

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