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Landtagswahl in Sachsen: Zunehmender Extremismus bereitet vielen Wählern Sorgen

Viele junge Menschen ziehen aus Görlitz und anderen ostdeutschen Städten in größere Metropolen, um eine bessere Arbeit zu finden.
Viele junge Menschen ziehen aus Görlitz und anderen ostdeutschen Städten in größere Metropolen, um eine bessere Arbeit zu finden. Copyright De Oliveira Guedes, Christina Maria/
Copyright De Oliveira Guedes, Christina Maria/
Von Olivia StroudHeilika Leinus (Off-Ton und Übersetzung)
Zuerst veröffentlicht am Zuletzt aktualisiert
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Dieser Artikel wurde im Original veröffentlicht auf Englisch

Viele junge Menschen verlassen Zittau, die südöstlichste Stadt Deutschlands. Auch in der sächsischen Stadt Görlitz, die an der Grenze zu Polen liegt, stehen Häuser leer. Doch welche Auswirkungen könnte die Landtagswahl im September auf die Bewohner haben?

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Hinter den malerischen Altstädten und Kopfsteinpflasterstraßen der ostdeutschen sächsischen Städte Zittau und Görlitz liegen verfallene, verlassene Häuser. Neben den mit Brettern vernagelten Fenstern verraten alte Schriftzeichen an den Wänden, welche Betriebe früher in den leer stehenden Gebäuden untergebracht waren: Druckereien und ein Fischhaus.

Diese Gebäude wurden verlassen, weil Zehntausenden Einwohnern auf der Suche nach einem besseren Leben in größere Städte wie Dresden oder Leipzig gezogen sind: In Städte, die funktionierende Mobilfunknetze und Arbeitsmöglichkeiten bieten.

Auch diese Städte liegen in Sachsen. In diesem Bundesland gibt es zahlreiche Anhänger der Rechtsaußen-Partei Alternative für Deutschland (AfD), die bei den kommenden Landtagswahlen einen großen Sieg feiern könnte.

Jüngsten Umfragen zufolge könnte die AfD zusammen mit der Linksaußen-Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei der Wahl am 1. September die Christdemokraten der CDU in Sachsen überholen. Die CDU und sein Ministerpräsident Michael Kretschmer regieren das Land seit sieben Jahren.

Doch während die Unterstützung für die AfD zunimmt, sieht es bei den Unternehmen vor Ort anders aus: Eine aktuelle Studie des Kölner Instituts für Wirtschaftsforschung hat ergeben, dass jedes zweite deutsche Unternehmen über den Aufstieg der AfD besorgt ist.

Ein Teufelskreis

Tuomo Neumann ist in Zittau geboren und aufgewachsen und besitzt dort ein Geschäft. Er betreibt eine Werbeagentur, einen Skate- und Graffiti-Laden und einen veganen Foodtruck. Demnächst will er ein Bistro eröffnen. 2019 kandidierte er bei den sächsischen Landtagswahlen für Die Linke, trat aber in diesem Jahr nicht mehr an.

Er erzählte Euronews, dass viele junge Menschen nach der Schule in größere Städte abgewandert sind, weil es in ihrer Heimat kaum Industrie gibt und es daher schwierig ist, einen Ausbildungsplatz zu finden

"Ich habe damals die Entscheidung getroffen, zu bleiben", sagt Neumann. "Das Problem ist, wenn alle weggehen, bleibt nichts mehr übrig. Nach meiner Ausbildung habe ich mich umgeschaut, was ich machen kann, und habe mich selbstständig gemacht."

Laut Neumann ist das Problem sektorübergreifend: Ärzte gehen in den Ruhestand und es gibt niemanden, der sie ersetzt. Das führe dazu, dass sich die Menschen "gefangen" und "unzufrieden" fühlen. Es gebe Parteien, die die Fragen rund um die Pfege, sowie das Einkommen der Menschen und die Infrastruktur vor Ort verbessern wollen. diese würden viele Mensche aber nicht wählen, "weil die Leute unzufrieden sind, aber lieber diejenigen wählen, die sie noch unzufriedener machen".

AfD gewinnt auch in Thüringen Wählerstimmen

Deshalb wählen immer mehr Menschen die AfD. Jeden Montag nehmen im Osten Deutschlands zahlreiche Menschen an Demonstrationen teil, die sich gegen die derzeitige regierung richten. So ist es auch im benachbarten Thüringen – einer weiteren AfD-Hochburg.

Es ist jedoch ein Teufelskreis. Die Gewalt, die oft mit den Rechtsextremen in Verbindung gebracht wird, ist den jungen Leuten in Zittau seit langem ein Dorn im Auge, was laut Neumann ein weiterer Grund dafür ist, dass sie so schnell wie möglich aus der Stadt fliehen, um neue Wege zu gehen.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 lebten in Zittau rund 38.000 Menschen, heute sind es nur noch halb so viele. Mit weniger Einwohnern in der Stadt stagniert die Wirtschaft und die Unzufriedenheit steigt, was zu mehr Unzufriedenheit mit der Regierung, und Gewalt führt.

Das ist nur eins der vielen verlassenen Häuser in Görlitz.
Das ist nur eins der vielen verlassenen Häuser in Görlitz.Liv Stroud

Euronews hat während seines Aufenthalts in Sachsen mehrere AfD-Politiker um einen Kommentar gebeten, aber keine Antwort erhalten.

"Die ganze Erfahrung der Jugend war geprägt von links gegen rechts", sagt Neumann Euronews. "Und manchmal ging es nicht einmal um links gegen rechts, sondern nur darum, dass es Neonazis gab, die hier ein Haus hatten."

"Meine Jugend und die meiner Freunde war von viel Gewalt geprägt", fügt Neumann hinzu. "Wir mussten uns überlegen, wo wir nachts spazieren gehen konnten, wo wir uns aufhalten konnten, ohne Gefahr zu laufen, überfallen und verprügelt zu werden."

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Rassistische Parolen auf dem Marktplatz

Neumann sagt, dass die schlimmsten Jahre vorbei seien, aber dass die rechtsextremen Demonstranten jeden Montag immer einen harten Ton anschlagen und zu rassistischen Angriffen neigen würden. Hunderte von Menschen versammeln sich auf dem Marktplatz und skandieren rassistische Parolen, erklärt er.

"Meiner Meinung nach macht das die Stadt sehr unattraktiv", sagt Neumann. "Ich verstehe, warum die Leute, vor allem junge Leute, nicht hier bleiben wollen."

Die Lösung liege darin, dafür zu sorgen, dass die Menschen die Konsequenzen für ihre gewalttätigen Handlungen tragen, so Neumann, der die lokalen Behörden auffordert, härter durchzugreifen – auch gegen Personen aus den eigenen Reihen.

"Es gibt rechte Gruppen innerhalb der Polizei, und es gab rassistische Übergriffe, wie den rassistischen Mord in Dessau", so der Unternehmer. "Vieles wird einfach unter den Teppich gekehrt, und dann merkt man zu spät, dass man etwas hätte tun müssen. Wenn es zu spät ist, reagieren alle geschockt und versuchen zu retten, was zu retten ist."

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Statistiken zeigen, dass die politische Gewalt in Deutschland in den vergangenen Jahren zugenommen hat. "Ich war bei einer Kundgebung gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft dabei", sagt Neumann. "Ich stand am Rande, habe recherchiert und die Situation beobachtet. Dann haben mich AfD-Vertreter aus dem Kreistag, also echte Mandatsträger, beleidigt, belästigt und bespuckt. Ich habe Anzeige erstattet, weil die Polizei direkt neben mir stand, aber es gab 'keine Beweise'."

Der AfD-Kandidat in Görlitz, Sebastian Wippel, ist Polizeikommissar. Sein Büro lehnte ein Interview mit ihm ab, als er von Euronews angesprochen wurde. Begründet wurde die Absage mit einem vollen Terminkalender des Polizeichefs.

Wie könnten die Wahlen Sachsen verändern?

Als Unternehmer hat Neumann Angst vor dem, was nach der Wahl am Sonntag passieren könnte. "Es besteht die Befürchtung, dass diese beiden Parteien, die eine von der extremen Linken und die andere von der extremen Rechten, eine Koalition eingehen könnten", sagte er.

Sowohl die AfD als auch die BSW stehen für einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine inmitten des russischen Angriffskrieges, für Friedensverhandlungen mit Moskau, für eine Abschwächung der Klimaschutzpolitik und für eine härtere Vorgehensweise in der Einwanderungspolitik.

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Neumann sagt, die Koalition könnte "gefährlich für die Region" sein. "Wir haben durch unser Geschäft, was ja doch viel auf Jugend ausgelegt ist, viel mit Initiativen und Vereinen zu tun, die von Fördermitteln abhängen, oder mit der Hochschule, die jetzt auch nicht weiß, was mit den Geldern ist. Wir sind alle von öffentlichen Geldern abhängig und die wissen nicht, was passiert", erklärt Neumann, der T-Shirts und Taschen für Schulkinder druckt. Wenn die AfD und das BSW an die Macht kämen, würde es mit Fördermitteln für alternative Projekte "richtig schlecht aussehen", sagt Neumann.

Der Wahlkampfleiter des BSW Sachsen, Jens Hentschel-Thöricht, sagt jedoch, dass die Partei "für die Stärkung von Kultur und Bildung" eintrete. "Wir sehen hier im Landkreis Görlitz, dass das Theater stark unterfinanziert ist und werden uns im Landtag dafür einsetzen, dass die kulturelle Bildung und die Bildung im Allgemeinen gestärkt werden", sagte er. "Wir haben einen Lehrermangel von über zehn Prozent an den Schulen und wir werden dafür kämpfen, dass das der Vergangenheit angehört."

Viele soziale Probleme sorgen für Unzufriedenheit

Das reiche nicht aus, um die beängstigten Bürger im Osten Deutschlands zu überzeugen, so Neumann, und die "Parteien, die die Menschen eigentlich zufriedenstellen könnten – höhere Löhne, mehr Arbeitsplätze, mehr soziale Verantwortung, bessere Krankenhäuser – die werden nicht gewählt."

Die Linke und die deutsche Gewerkschaft Ver.di haben sich für eine Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro pro Stunde eingesetzt. Dennoch könnten Die Linke, die Sozialdemokraten (SPD) und die Grünen jüngsten Umfragen zufolge kaum mehr als die für den Einzug in den Landtag erforderliche Fünf-Prozent-Hürde erreichen.

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Viele Menschen im Osten haben immer noch romantische Erinnerungen an das Leben in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vor der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990. Dabei gebe es immer noch einen gewaltigen Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland, sagt Neumann.

Unter anderem seien die Lähne im Osten und Westen sehr unterschiedlich. "Diejenigen, die hier geblieben sind, werden für die gleiche Arbeit oder sogar für härtere Arbeit viel schlechter bezahlt", sagt Neumann. Er könne gut verstehen, dass die Menschen deshalb enttäuscht sind und "Unsinn machen, wie zum Beispiel Neonazi-Parteien zu wählen".

AfD auch bei wohlhabenden Menschen beliebt

In Görlitz, einer weiteren Stadt nahe der tschechischen und polnischen Grenze, könnten die Rechts- und Linksaußen-Parteien bei der kommenden Wahl ebenfalls die CDU überholen. Dort scheint die Stimmung unter den Geschäftsinhabern ähnlich zu sein wie bei ihren Nachbarn in Zittau.

Reiseleiter und Autor Frank Vater sagte Euronews, dass populistische Parteien die Probleme der Region nicht lösen werden. "Die Rhetorik der AfD ist reiner Populismus: Es steckt nichts dahinter, aber die Leute werden davon angezogen, weil es zunächst einfach klingt", sagte er.

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"Was mich viel mehr erschüttert, wenn man das als Angst bezeichnen kann, ist, dass andere Parteien, also die großen wie die CDU zum Beispiel, auf solche Sachen reagieren und mitmachen, und nichts dagegensetzen, also keine Inhalte dagegensetzen", sagt Vater. Die etablierten Parteien müssen stark bleiben und dürfen sich nicht dazu hinreißen lassen, eine rechtsextreme Politik zu übernehmen, weil sie glauben, dass die Menschen das wollen, betont Vater. "Wenn es keine klare Haltung gegen den Faschismus gibt, dann liegt darin die Gefahr."

"Der Stadt geht es gut"

Die Zukunft von Görlitz schätzt Frank Vater dagegen positiver ein. Nach dem Fall der Mauer und der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 lebten noch 70.000 Menschen in der Stadt, doch dann sank die Zahl der Einwohner auf 50.000.

"Aber jetzt, mit all den Veränderungen, die man sieht, ist die Stadt viel attraktiver geworden", sagte Vater. "Die Einwohnerzahl ist wieder angestiegen. Wir sind jetzt oft bei etwa 57.000 Einwohnern, das ist eine positive Entwicklung."

Das scheinbare Glück der Stadt mache die Unzufriedenheit und die Unterstützung für die extremen Parteien jedoch noch unverständlicher, so der Reiseleiter. "Es ist ja nicht so, dass es der Stadt schlecht geht. Der Stadt geht es gut, den meisten Leuten in der Stadt geht es gut", sagt er. "Hier gibt es Regionen in diesem Land, wo es deutlich schlechter läuft."

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Auch vielen Teilnehmern der sogenannten Montagsdemonstrationen geht es seiner Meinung nach nicht schlecht. Diese Menschen würden einfach mit den anderen mitmachen, gewissermaßen ähnlich wie vor 1933, erklärt Vater. Zwar würde nicht alles in Deutschland reibungslos laufen, aber im Vergleich zu vielen anderen Ländern würde es den Menschen in Deutschland gut gehen, betont Vater.

Demonstranten auf der Görlitzer Montagsdemonstration mit einem Plakat, auf dem die Regierung an der Kriegstreiberei beschuldigt wird.
Demonstranten auf der Görlitzer Montagsdemonstration mit einem Plakat, auf dem die Regierung an der Kriegstreiberei beschuldigt wird.Liv Stroud

Dennoch beeinflusst die Wut auf die Bundesregierung die lokale Politik. Dabei hätten die Probleme, die man heute zu lösen versucht, "nichts mit der aktuellen Politik in Berlin zu tun", sondern sie hätten sich im Laufe der Jahre entwickelt, so Vater. In der Tat seien diese Probleme lösbar und nicht annähernd so schlimm, wie sie von den extremistischen Parteien dargestellt werden.

Trotzdem sind einige Landespolitiker der Meinung, dass lokale und föderale Themen nicht zu weit auseinander liegen würden. Sie wollen die Landtagswahl im September nutzen, um Einfluss auf die Bundespolitik zu nehmen.

Jens Hentschel-Thöricht vom BSW sagt, ihre Partei glaube, dass man mit einem guten Ergebnis in Sachsen auch ein starkes Signal nach Berlin senden würde. "Es zeigt, dass wir Dialog statt Krieg wollen und dass wir Waffenlieferungen an die Ukraine und andere Konfliktgebiete ablehnen", sagte er. "Ich denke, das ist die stärkste Botschaft, die wir hier senden können, und die Art von Wirkung, die wir haben können."

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Vater sagt, dass die einzelnen Menschen in Deutschland mehr Verantwortung bei der Lösung von Problemen übernehmen müssten, anstatt die Schuld auf Politiker oder Einwanderer zu schieben, wie es die extremistischen Parteien oft tun.

Seiner Meinung nach kommen viele Menschen aus Syrien oder Afghanistan aus einer ganzen Reihe von Gründen nach Deutschland, die sich nicht allzu sehr von denen unterscheiden, die Ostdeutsche vor der Wiedervereinigung veranlassten, nach Westdeutschland zu gehen. "Manche hatten es wirklich schwer, manche wurden wirklich verfolgt, andere wollten einfach nur ein besseres Leben. Aber das ist doch der Wunsch, den wir alle haben, oder?", sagt er.

"Ich erinnere mich an die Zeit, an die letzten zwei oder drei Jahre in der DDR. Wie viele Menschen sind über die Grenze in den Westen gegangen, um besser zu leben. Ihnen ging es nicht schlecht hier, aber sie wollten was anderes. Und ein bisschen ist es eine Parallele zu heute auch. Wenn andere aber das tun und zu uns kommen, wird das hinterfragt."

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