Ein mehr als tausendseitiges Gutachten hatte der Verfassungsschutz erstellt, das die AfD beleghaft als "gesichert rechtsextremistische Bestrebung" einstufen soll. Das Magazin "Cicero" hat das Dokument nun veröffentlicht. Es besteht aus keinen geheimdienstlich relevanten Erkenntnissen.
Anfang Mai hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Bundespartei AfD als "gesichert rechtsextremistisch" hochgestuft. Grundlage dafür war ein Gutachten, das über tausend Seiten lang ist. Kurz vor Ende ihrer Amtszeit verkündete Innenministerin Nancy Faeser (SPD) die AfD als "gesichert rechtsextremistisch".
Namhafte Juristen kritisierten in den vergangenen Wochen, dass der Verfassungsschutz bei solch einer Entscheidung - hinsichtlich einer großen Oppositionspartei, die in einigen Wahlumfragen auf bis zu 26 Prozent kommt -, das Dokument nicht öffentlich gemacht hat.
Die AfD setzte sich zur Wehr und stellte einen Eilantrag. Aktuell muss der Geheimdienst die Einstufung bis zu einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vorerst aussetzen und die Hochstufung von seiner Webseite entfernen. Bis dahin wird die Partei als sogenannter Verdachtsfall geführt.
Am Dienstagabend hat das Magazin "Cicero" schließlich das vollständige Gutachten veröffentlicht. Kurz danach veröffentlichten auch die Onlineportale "T-Online" und "Nius" das Dokument.
Keine relevanten geheimdienstlichen Quellen
In den mehr als tausend Seiten wird deutlich, dass der Geheimdienst das Gutachten, was als Hochstufungsgrundlage fungiert, nicht mit relevanten geheimdienstlichen Quellen erstellt hat. Zuvor hatten Faeser und der Verfassungsschutz betont, dass sie das gesamte Dokument mit Hinweis auf den Quellenschutz nicht veröffentlichen würden und es als "geheim" eingestuft.
Das Gutachten stützt sich allerdings laut dem Magazin "Cicero" fast "ausschließlich auf öffentlich zugängliche Quellen". "Wir glauben daran, dass Demokratie nicht ohne Transparenz und kritische Öffentlichkeit funktionieren kann", betonen die Journalisten des Magazins.
Rechtswissenschaftler kritisiert Verfassungsschutz
Der Jurist Josef Franz Lindner kommentierte auf X: "Schon der Begriff Gutachten scheint mir etwas hochgegriffen zu sein. Es handelt sich eher um eine assoziativ zusammengestellte Zitat- und Materialsammlung".
Auch der FDP-Politiker Martin Hagen kritisiert das Vorgehen des Verfassungsschutzes. "Die Kommunikation der Behörde erscheint nun noch fragwürdiger, denn Informantenschutz fällt als Grund für die Geheimniskrämerei aus: Zitiert sind ausschließlich öffentlich zugängliche Quellen", so der Landesvorsitzende der FDP Bayern.
Der Verfassungsschutz nannte als Grund für seine Hochstufung "die Menschenwürde missachtende, extremistische Prägung der Gesamtpartei". Das Bundesamt argumentierte: "Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar."
Neben dem Magazin "Cicero" war auch das Onlineportal "Frag den Staat" zur Einschätzung in Bezug auf Teile des Gutachtens gelangt: Dass es in dem 1108 Seiten "nicht um Informationen, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln wie dem Einsatz von V-Leuten gewonnen wurden".
Cicero-Autor hält verfassungswidrige Äußerungen nicht für "eindeutig verfassungsfeindlich"
Der "Cicero"-Autor Mathias Brodkorb analysierte, dass es im Gutachten sowohl "eindeutig 'harmlose'" als auch "eindeutig verfassungswidrige Äußerungen" geben würde.
"Der Verfassungsschutz erklärt sie gleichwohl allesamt und sonders zu verfassungsfeindlichen Aussagen. Das ist nicht nur wenig überzeugend, es ist offenkundig falsch", schreibt er weiter.
Ob die offenbar eindeutig verfassungswidrigen Äußerungen schließlich die Gesamtpartei insgesamt für eine Hochstufung belasten könnte, erweise sich laut Brodkorb "als fraglich". 2011 bis 2019 war Brodkorb für die SPD Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern.