Die neue Wirtschaftsministerin will mehr Gaskraftwerke und Stromsubventionen. Doch reicht das für die Wirtschaftsankurbelung? "Reiches Politik ist Stand jetzt eine Habeck-Fortsetzung, das kann Deutschland sich nicht leisten", warnt der Ökonom Daniel Stelter bei Euronews.
Einst war Deutschland ein Weltmarktführer. Heute gilt die Industrienation als "kranker Mann Europas". Das Land befindet sich zum dritten Mal in Folge in der Rezession.
Die Wirtschaftsweisen gehen von null Wachstum für dieses Jahr aus. Der Abstieg ist in den Zahlen dramatisch. Vergangenes Jahr schlossen fast 200.000 Unternehmen ihre Türen, so eine Untersuchung von Creditreform. Der höchste Wert seit 2011.
Und auch im Jahr 2025 stürzen die Zahlen weiter ab. Im April wurde ein neuer Höchststand an Insolvenzen gemeldet. Laut dem Leibniz-Institut wurden 1626 Firmeninsolvenzen registriert – 21 Prozent mehr als im April 2024. Das übertrifft sogar die Werte der Finanzkrise 2008.
"Haben nur noch Monate, um Industrie zu retten"
Besonders die hohen Strompreise machen der Industrie unter anderem zu schaffen. Mittlerweile müssen einige Stahlriesen zeitweise ihre Produktionen an einem Tag stilllegen, um ihr Unternehmen vor finanziellem Schaden zu bewahren.
Andere Unternehmen wiederum verlagern derweil ihre Produktion nach Osteuropa - oder auch nach China. Indes sind ganze Branchen bedroht. Darunter vorneweg die Autoindustrie: VW, Mercedes und BMW streichen tausende Stellen. "Made in Germany" ist schlicht zu teuer geworden.
Der bekannte Ökonom Daniel Stelter warnt im Gespräch mit Euronews: "Bei den Energieintensiven Industrien haben wir jetzt nur noch 24 Monate zu Zeit, um sie zu retten." Die bisherigen Verluste von Industrieunternehmen, seien nicht mehr rückgängig zu machen.
"Katherina Reiches Politik ist die Fortsetzung von Habecks"
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hat Deutschlands Energiekosten-Problem richtig erkannt. Sie plädiert für Energiesicherheit und günstigere Strompreise. Deshalb will sie beispielsweise den Industriestrom staatlich subventionieren. Allerdings droht die EU, dabei nicht mitzumachen.
Reiche will außerdem als Problemlösung neue Gaskraftwerke – doch auch der Gaspreis ist so hoch wie nie. Hat die Ministerin bisher das richtige Rezept, um die deutsche Wirtschaft zu retten?
Daniel Stelter erklärt, Ministerin Reiche zwar ginge den richtigen Schritt. "Wenn kein Wind bläst und keine Sonne scheint, brauchen wir eine sichere Versorgung. Nachdem wir AKWs ausgeschaltet haben und wir Kohle auch ausschalten wollen, bleiben nur noch Gaskraftwerke übrig." Nur mit Erneuerbaren Energien, "geht es eben nicht".
Doch Reiches Maßnahmen reichen bisher nicht, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln, damit Deutschland Industrienation bleibt: "Wer glaubt, dass die Erneuerbaren Energie in Kombination mit Gaskraftwerken zu billigem Strom führt, der lebt in einer Traumwelt", sagt der Ökonom gegenüber Euronews.
Ökonom Stelter: "Viele blicken immer nur auf die Kosten an der Solarzelle, am Windrad. Nur wenn der Wind bläst und die Sonne scheint, ist es günstig. In Wahrheit müssen wir die Systemkosten mitrechnen wie Speicher und Batterien - dann sind Erneuerbare Energien die Teuersten!"
Deshalb sei "Frau Reiches Politik – Stand heute – eigentlich die Fortsetzung der Politik von Robert Habeck" und die sei nicht geeignet, "ein Industrieland nachhaltig und günstig mit Energie zu versorgen", so der Wirtschaftsexperte weiter.
Stelter fordert, den Atomausstieg rückgängig zu machen
Statt Gaskraftwerke wären Kernkraftwerke die bessere Lösung, meint Stelter. "Wenn sie mich persönlich nach meiner Meinung fragen, ich hätte natürlich zum einen den Atomausstieg nicht so vollzogen. Und würde jetzt alles daran setzen, den Atomausstieg wieder rückgängig zu machen, in dem ich die alten Atomkraftwerke wieder reaktiviere."
Energieexperte: "Gas ist viel zu teuer"
Noch kritischer sieht das Energieexperte Björn Peters. Gerade erst hat er sein neues Buch auf dem Markt gebracht, was lautet "Schluss mit der Energiewende". In diesem plädiert er, die Volkswirtschaft müssten mehr ökologischen Realismus wagen.
"Also mit Gaskraftwerken alleine senkt man den Strompreis nicht ab. Die sind sehr teuer im Betrieb. Das Gas ist teuer. Dann kommen die CO2-Kosten oben drauf. Das würde bedeuten, dass man langfristig Erzeugerpreise zwischen 15 und 20 ct Kilowattstunde hätte", meint Peters. Dies sei zu teuer. "Damit sind wir nicht wettbewerbsfähig."
Stattdessen müsse man das Angebot rasch ausweiten. "Das besteht aus der Rückholung der Kernkraftwerke, aus einer heimischen Produktion von Erdgas und CCS, das ist CO2-Abscheidung von Kohlekraftwerken. Wir haben genug Kohle für 200 Jahre. Das wäre im Interesse der nationalen Sicherheit, die Kohle weiter zu nutzen, aber eben mit den entsprechenden Filtern."
Die Kernkraftwerke wie Brokdorf und Emsland wären bis 2026 wieder reaktivierbar. Zudem gäbe es noch sechs weitere Kernkraftwerke, die man zurückholen könne. Der Prozess könnte in die 2030er andauern.
Reiches Subventionen sei ein Fehler
Man dürfe die Folgen der zuvor "schlechten Energiepolitik nicht heruntersubventionieren", mahnt Peters. "Natürlich funktioniert das nicht."
Auch Stelters betont: "Die Politik setzt darauf, die Industriekrise durch Subventionen zu lösen – also weniger Steuern, dafür staatliche Zuschüsse. Das ist nicht sinnvoll. Es gilt der Grundsatz, je größer das Angebot, desto besser."
Dennoch ist der Physiker optimistisch hinsichtlich seiner Erwartungen gegenüber der neuen Wirtschaftsministerin. Reiche wolle "mit Ernsthaftigkeit eine Bestandsaufnahme", also einen Kassensturz für die Wirtschaft machen. Peters: "Wir haben mit einzelnen Regierungsvertretern in den letzten Tagen gesprochen. Und sie scheinen den Atomeinstieg zumindest zu reflektieren."